Tanja Penter Carola Tischler (Sektionsleitung)

Ostmitteleuropäische Grenz-Gebiete in der Politik zwischen Deutschland und der Sowjetunion 1939 bis 1941: Fragile Lage, unterschiedliche Interessen, wechselnde Vergangenheitsbilder

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Abstract

Die Besetzung von drei Regionen in Ostmitteleuropa nach dem Molotov-Ribbentrop-Pakt durch die Sowjetunion wird vergleichend in den Blick genommen: die ostpolnischen Gebiete, die westukrainischen Gebiete und Bessarabien. Gemeinsam ist ihnen, dass sie in der neuen Staatenordnung nach 1918 keinen eigenen Staat bildeten (wie die Baltischen Republiken), sondern aufgrund der Versailler Ordnung bzw. aufgrund militärischer Eroberungen (wie die ostpolnischen und Teile der westukrainischen Gebiete) Bestandteil anderer Nationalstaaten wurden.

 

Die Geschichtspolitik darüber ist so verschieden, wie die gegenwärtige Verfasstheit der Staaten Belarus, Ukraine und der Republik Moldau ist, zu denen diese Gebiete heute gehören. Ziel des Panels ist eine doppelte Brechung. Einerseits soll eine getrennte Darstellung der Besatzungszeit 1939 bis 1941 bzw. der Geschichtspolitik über diesen Zeitraum helfen, das Augenmerk auf vergessene Orte, Geschehnisse und Zeitschichten zu lenken. Andererseits werden gleichermaßen Historikerinnen und Historiker aus den betreffenden Staaten wie aus Deutschland zu Wort kommen, was den Dialog und kontroverse Sichtweisen bereichern soll. Da dieser europäische Raum im allgemeinen Schulunterricht häufig vernachlässigt wird, eignet sich die Sektion auch besonders für Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer.

Beate Fieseler (Düsseldorf)
Einführung und Moderation
Yuliya von Saal (München/Berlin)
Die polnischen Kresy Wschodnie unter sowjetischer Besatzung 1939 bis 1941 und die Geschichtsschreibung und Erinnerung an die Besetzung der ostpolnischen Gebiete in Belarus

Die Eingliederung ostpolnischer Gebiete (kresy) in die Belarussische Sozialistische Sowjetrepublik (BSSR) am 17. September 1939 wurde offiziell als nationale Befreiung ethnischer Belarussen (sowie Ukrainern und Juden) vom „polnischen Joch“ gefeiert. Auf die „Befreiung“ folgten jedoch massenhafte Verhaftungen und Deportationen der lokalen Bevölkerung. Die anfangs noch vorhandene Euphorie schlug in Enttäuschung um, weil vom Terror und der eingeleiteten Kollektivierung bzw. Sowjetisierung nicht nur Polen, sondern auch die „Befreiten“ betroffen waren. Obwohl der Mythos der Befreiung in der offiziellen belarusischen Geschichtsschreibung bis heute dominiert, zeugen mündliche Zeugnisse und die Instrumentalisierung vom 17. September durch Lukašenkas Regime nach 2020, das dieses Datum ins kalendarische Gedächtnis wieder als „Tag der Einigkeit“ zurückgeholt hat, von der Fragilität der Ereignisse.

Carola Tischler (München/Berlin)
Die ukrainische Frage in den deutsch-sowjetischen Beziehungen 1939 bis 1941

Die „ukrainische Frage“ spielte in der Politik der Nationalsozialisten von Beginn an eine kriegswirtschaftliche Rolle. In den Jahren 1938/39, als die Frage der Neuordnung Ostmitteleuropas, beginnend mit der Münchner Konferenz, wieder virulent wurde, verhielt sich Hitler gegenüber allen ukrainischen Unabhängigkeitsbestrebungen ablehnend. Im Geheimen Zusatzprotokoll zum Molotov-Ribbentrop-Pakt wurden die unterschiedlich geprägten Gebiete Ostgalizien und Wolhynien der UdSSR zugeschlagen, verbunden mit den darzustellenden Folgen der Besatzung. In den verschiedenen ukrainischen Gebieten bei entsprechenden politischen Interessensgruppen führte dies zu einer Äquidistanz gegenüber beiden großen Mächten.

Kai Struve (Halle-Wittenberg)
Die sowjetische Besetzung der Westukraine in der ukrainischen Geschichtsschreibung und Erinnerung

Die Zeit 1939 bis 1941 und die sowjetische Besetzung der Westukraine war seit der Unabhängigkeit 1991 in der Ukraine vor allem unter zwei Aspekten bedeutsam: 1) der kritischen Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Konzept des „Großen Vaterländischen Kriegs“, das in der ukrainischen Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit noch bis 2014 einflussreich war; 2) der sowjetischen Herrschaft in den angegliederten Gebieten 1939 bis 41. Sie stand und steht allerdings im Schatten der Erinnerung an den ukrainischen Widerstand gegen die erneute Besetzung dieser Gebiete in den Jahren nach 1944.

Mariana Hausleitner (Berlin)
Bessarabien in den deutsch-sowjetischen Beziehungen 1939 bis 1941

Im geheimen Zusatzprotokoll des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages beanspruchte Molotov Bessarabien. Nach einem Ultimatum erzwang die Sowjetunion im Juni 1940 den Rückzug der rumänischen Verwaltung nicht nur aus Bessarabien, sondern auch aus der Nord-Bukowina und setzte dort gewaltsam ihr politisches System durch. Im Juni 1941 eroberte die rumänische Armee als Bündnispartner des Deutschen Reiches diese Gebiete zurück. Seit Frühjahr 1944 wurden sie erneut von der Roten Armee eingenommen.

Ottmar Trasca (Cluj-Naboca)
Die sowjetische Annexion von Bessarabien in der rumänischen und moldauischen Geschichtsschreibung

In der rumänischen Geschichtsschreibung während des Zeitraums 1945 bis 1989 wurde dieses Thema überhaupt nicht behandelt wurde, da in Rumänien die Historiographie einer doppelten Zensur – sowohl einer ideologischen als auch einer informationstechnischen – unterlag. Erst nach dem Umbruch 1989/90 hat die Geschichtsschreibung den internationalen Kontext des Abschlusses des Molotow-Ribbentrop-Paktes sowie die politisch-militärische Lage Rumäniens zwischen 1939 bis 1945 untersucht und analysiert.

Tanja Penter (Heidelberg)
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