Nicolas Berg Mona Körte (Sektionsleitung)

The Conception of Anti-Jewish “Facts”: Languages of Anti-Semitism in the 19th and 20th Centuries

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Abstract

The intellectual work of understanding, explaining and writing history is confronted with languages - in the plural- even when dealing with a subject located within the framework of one's native language. "The deeper we go back into past times," Hans-Jürgen Goertz expressed it in his Introduction to the Theory of History (1995), "the more linguistic worlds we have to pass through and do translation work." The section "The Construction of Anti-Jewish 'Facts': The Language of Antisemitism in the Nineteenth and Twentieth Centuries" takes seriously the historical theoretical assumption that all historical knowledge is also a process of translation¬ from past to present and that a single language is not sufficient for this. This is particularly true for antisemitism in the 19th and 20th centuries because it uses language formulas and terms as actual weapons. Using his example, the lectures will present and discuss two aspects of linguistic and historiographical translation work that always belong together: First, the analysis of the linguistic structure of antisemitic hostility itself, its choice of words and metaphors, its aporetic figures of thought, the practice of double-binds and repetitions, as well as the logic of discourse in general (e.g., the scientification of resentment through foreign words and the assimilation to academic jargon, etc.). Secondly, the lectures also address those resistant attempts to counter the linguistic conspicuousness of antisemitic ideology of defamation and exclusion by means of historical linguistic criticism and to deconstruct it linguistically and intellectually. The panel thus offers exemplary insights into the historiographical use of metaphors, concepts and terminologies that were practiced in very different ways at very different times in the process of translation and cognitive work to counter antisemitism with linguistic awareness.

Mona Körte (Bielefeld)
Kollektivsingulare in der Sprache des Antisemitismus

Kollektivsingulare sind auf der grammatischen Ebene formökonomische Werkzeuge, die das/den Einzelne/n als Allgemeines setzen: ‚Der Jude‘, ‚die Geschichte‘, ‚der historische Prozess‘. Mit Reinhart Koselleck und Niklas Luhmann sind sie Zeichen einer Übergangssemantik um 1800, die Irritationen abfängt und Ausdifferenzierungen begleitet. Der Vortrag untersucht Kollektivsingulare als grammatische Lieblingsfiguren des Antisemitismus auf ihr intrikates Verhältnis von Singularisierungs- und Pluralisierungsbestreben und als Stilmittel und Sprachstrategie in Repliken auf die Sprache des Antisemitismus u.a. von Ludwig Börne und Heinrich Heine.

Nicolas Berg (Leipzig)
Der Berliner Antisemitismusstreit 1879/80 als Sprachereignis: Eine Neubetrachtung

Es waren neue Sprachformeln, die den Essay „Unsere Aussichten“ von Heinrich von Treitschke 1879 so wirkungsvoll und erfolgreich machten: Mit Wendungen wie „fremdes Volkstum“ und „jüdischer Charakter“, der Wortprägung „deutsche Judenfrage“ und der scharfen Gegenüberstellung von „Deutschthum“ und „Semitenthum“ prägte der Berliner Historiker den judenfeindlichen Diskurs in Deutschland auf Jahrzehnte hinaus. Als der Kritiker Walter Boehlich 1965 mit seiner Dokumentation daran erinnerte, nahm er sich der Sache deshalb aus sprachkritischer Perspektive an. Der Vortrag zeigt auf, wie Boehlich versuchte, die Anfeindungsformeln des 19. Jahrhunderts mit den Mitteln sprachsoziologischer Argumente aus dem Thesaurus der deutschen Sprache zu exorzieren.

Katharina Krčal (Wien)
Diffamierungsvokabeln aus der Insektenkunde: Der Mimikry-Begriff in antisemitischen Texten des frühen 20. Jahrhunderts

Der Vortrag untersucht den biologischen Begriff der „Mimikry“ im Diffamierungsvokabular des frühen 20. Jahrhunderts. An Texten des Nationalökonomen Werner Sombart, des Schriftstellers Ernst Blüher und des Juristen Carl Schmitt wird die strukturelle Paradoxie aufgezeigt, die die Fügung „jüdische Mimikry“ ausmacht und die auch zum Kern antisemitischer Verschwörungstheorie gehört: Juden, so wird insinuiert, passten sich „bis zur Unkenntlichkeit“ an die Gesellschaft an, bleiben aber dennoch erkennbar anders. Diesem feindseligen semantischen Hiatus war nicht zu entkommen. Die Stoßrichtung des „Mimikry“-Diskurses, so zeigt dieser Vortrag auf, liegt nicht in der vorgebrachten Anklage der Camouflage, sondern allein in der Unentrinnbarkeit negativer Zuschreibungen für die Betroffenen.

Uffa Jensen (Berlin)
Kollektivschuld zurückweisen. Über die emotionalisierte Sprache des Antisemitismus nach der Shoah

In der historischen Emotionsforschung wird das komplexe Verhältnis zwischen Emotionswörtern und Gefühlen erforscht. Die Konjunktur des Begriffs „Kollektivschuld“ in der unmittelbaren Nachkriegszeit verweist exemplarisch auf eine besondere Ambivalenz, denn was die Deutschen selbst gerade noch propagiert und praktiziert hatte – kollektiven Hass gegen Juden – wird nun, nach der Shoah, in einer aggressiven Umkehrung des Täter-Opfer-Verhältnis rhetorisch abgewehrt: die Massenverbrechen habe man nicht als Volk begangen, Schuld trügen nur Einzelne. Die empörte Zurückweisung des Gedankens kollektiver Verantwortlichkeit wurde so zu einem Mittel der Diskursverweigerung. Der Vortrag blickt sowohl auf Sprechakte der Schuldabwehr als auch auf den besonderen Hohlraum des Verschweigens, dem sie angehören. Die Sprache des Antisemitismus, so legt der Vortrag dar, ist nach 1945 nicht mehr bekennend, sondern verbleibt häufig im Unausgesprochenen oder in verschobenen, sekundären Diskursen.

Heidrun Deborah Kämper (Mannheim)
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