Simone Lässig (Sektionsleitung)

Sources of Mobility: Interventions Critical of Tradition (17th-20th Century)

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Abstract

At the intersection of the histories of migration, mobility, knowledge and digital technology, a new field of research is emerging. This field offers novel ways of accessing sources, but at the same time, it requires new forms of source criticism and a methodological and conceptual rethinking of historical, especially non-canonical, traditions. An example of this is the interest in the fluid everyday practices, knowledge, experiences and emotions of mobile people. On the one hand, these voices are not adequately represented in classical archival collections and on the other hand, this lacuna persists in a large part of research.

These challenges are taken up by the cross-epochal section, which engages with fundamental conceptual and epistemological challenges in the study of migration and mobility. The section discusses these challenges based on selected empirical examples and concrete traditions from the 17th to the 20th century. The overarching question is: how can historical research understand the dynamic and diverse, often adversarial and fragmentarily documented life and knowledge worlds of mobile actors, including their relatively immobile reference groups? What gaps and potentials does the existing tradition offer for this purpose?

Speakers from four countries and different sub-disciplines of historiography will discuss how non-canonical and increasingly digitally accessible source corpora contribute to the diversification of historical knowledge and what innovative impulses they provide for research. They will also demonstrate how long-known serial sources can be re-read with digital and hermeneutic methods and how they can be productively combined with source material that researchers have not yet discovered or have neglected. Finally, they will identify the resulting challenges for historical source criticism.

The event will take place in the Great Lecture Hall of the mususem.

Dagmar Freist (Oldenburg)
"I am writing from this port of Salé, to which God has brought the ship in peace” – Handel, Krieg, Migration und die Fragilität des Alltags im frühen 17. Jahrhundert

Exemplarisch für die Leitfragen dieser Sektion nach dem Erkenntniswert fragmentarischer Lebens-, Erfahrungs- und Wissenswelten mobiler Menschen steht das Briefbuch eines unbekannten jüdischen Händlers aus dem frühen 17. Jahrhundert, das in den Prize Papers als Teil von Kapergut überliefert ist. Der Verfasser dieser Briefe war von seinem Auftraggeber in Amsterdam in die überwiegend muslimisch geprägte Hafenstadt Salé, Marokko, gesandt worden. Die Briefe sind Teil von Geschäftspraktiken und geben zugleich einen Einblick in die (Selbst)Deutung und in die Fragilität der Lebenswelten von Menschen in Migrationskontexten.

Ursula Lehmkuhl (Trier)
Migrationskorrespondenzen als Quellen für die Analyse von Strukturen, Mustern und Dynamiken von Mobilität in der Perspektive der „longue durée“

Migrationskorrespondenzen gehören zu jenem Quellenmaterial, mit dem individuelle bzw. subjektive Dimensionen historischer Lebens- und Wissenswelten sowie Selbstaussagen des historischen „Ichs“ rekonstruiert werden können. Da in ihnen die Selbstwahrnehmung und Darstellung des historischen Subjekts in seinem Umfeld zum Ausdruck kommt, sind sie bislang vor allem in mikrohistorischer Perspektive ausgewertet worden. Der Vortrag diskutiert die Frage, inwieweit sich Migrationskorrespondenzen auch für die Analyse von Strukturen, Mustern und Dynamiken von Mobilität in der Perspektive der „longue durée“ eignen. Dazu werden auch die Möglichkeiten digitaler Analysemethoden reflektiert.

Rebekka Grossmann (Jerusalem)
Peripherien im Fokus: Fotografie und Mobilität als Ursprung humanitärer Diskurse

Während der visuellen Geschichte seit einiger Zeit mehr Beachtung geschenkt wird, ist sie als Quelle mobiler Akteure noch weitgehend unerforscht. Dieser Beitrag diskutiert die Chancen und Risiken der Arbeit mit Fotografien als Quellen sowohl der Erforschung der persönlichen Reflexion von Mobilität als auch der Begegnung mit unbekannten Lebenswelten. Dabei wird nicht nur die Qualität der direkten Interaktion in den Blick genommen, sondern auch ihre langfristige Wirkung. Der Beitrag schlägt vor, die fotografische Begegnung als Akt des kulturellen Austauschs zu betrachten, dem die Hoffnung nach Sichtbarkeit und Anerkennung der eigenen Erfahrung zugrunde liegt.

Swen Steinberg (Kingston/Kanada)
Menschen im Transit: Quellen aus fluiden Räumen historischer Mobilität

Die Migrationsforschung reduzierte die Mobilität von Menschen lange auf Aspekte der Abreise und des Ankommens, auf die Emigration und Immigration. Migration – egal welchen Grund oder Kontext sie hat – war allerdings ein deutlich komplexerer und kontingenterer Prozess, er war vor allem von der Situation des Transits geprägt. In diesen Übergangphasen der Migration selbst entschied oft die soziale oder geographische Herkunft über erreichbare und unerreichbare Ziele, über die Produktion oder Übersetzung migrationsrelevanten Wissens sowie nicht zuletzt über die Dauer des Transits selbst. Der Vortrag stellt Transit als einen Ansatz vor, diese Erfahrungsräume historischer Mobilität zu erschließen.

Joachim Schlör (Southampton)
Migrantische Familienarchive zwischen privatem Besitz und digitalem Raum

Neuere Studien zur Geschichte der deutsch-jüdischen Auswanderung nach 1933 und ihrer Nachwirkung wurden (auch) auf der Grundlage von Dokumenten erstellt, die sich noch in Privatbesitz befinden. Mein Beitrag wird sich mit Briefen, Tagebüchern, Fotografien und anderen Quellen im Privatbesitz von Nachkommen deutsch-jüdischer Emigranten befassen. Diese leben über den gesamten Globus verstreut, sind aber durch die Mitgliedschaft in einer Facebook-Gruppe verbunden und teilen dort ihre Dokumente. Können solche Sammlungen auf besondere Weise zu unserem Verständnis von Mobilität und Migration im Zusammenhang deutsch/jüdischer Geschichte beitragen?

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