Maren Möhring Annelie Ramsbrock (Sektionsleitung)

Social Figures – A Societal Form of Appearance Between Facticity and Fiction in the 20th Century

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Abstract

The order of a society is determined by the people who live in it. At the same time, societies produce figurations in which social experiences condense and which serve as "social figures" as a reference point for social understanding (Moebius/Schroer). Social figures are located in specific life worlds and are often the result of crisis experiences for which there are no clear (institutionalized) answers yet. Accordingly, social figures express problem situations without solving them. Sociologists have already discussed the epistemic achievements of social figures as a special form of representation of the social in contemporary societies (Moser/Schlechtriemen). The lectures aim to build on this and to expand the analytical potential of this observation with a historical perspective. Accordingly, social figures are not viewed as a state, but as a process and the lectures ask in which social contexts specific social figures arose (and possibly disappeared) and how they developed over the course of the 20th century. Using the examples of the "addict", the "follower", the "victim", the "model woman" and the "dependent person", the panel asks about the genesis and temporal nature of specific social figures that became dominant in Western societies in the 20th century, often also transnationally. In particular, it examines to what extent social figures expressed certain experiences, body images and imaginations, but also justified concrete power effects such as inclusion and exclusion mechanisms. Finally, the discussion should address how social figures generated evidence and where the limits of their analytical potential lie.

Annelie Ramsbrock (Greifswald)
Der Süchtige. Zur sozialen Kartografie einer globalen Figur

Seit die Figur des Süchtigen in der westlichen Moderne entworfen worden ist, dient sie als eine besondere Darstellungsform des Sozialen. In ihr verdichten sich gesellschaftliche Ängste und Krisenwahrnehmungen und, damit eng verbunden, soziale Ordnungsvorstellungen und politische Machtstrategien. Die rauschbedingte out-of-control-Situation versetzte Staat und Subjekt meist gleichermaßen in einen Ausnahmezustand, weshalb die Figur des Süchtigen als ein räumlich und zeitlich wandelbares Aussagesystem analysiert werden kann, das unterschiedliche Verschränkungen persönlicher und politischer Problemlagen in einer sich globalisierenden Welt des 20. Jahrhunderts offen legt.

Detlef Siegfried (Kopenhagen)
Der Mitläufer. Ambivalenzen des Konformismus

Die rechtliche Institutionalisierung des ›Mitläufers‹ im Zuge der Entnazifizierung hat die Doppeldeutigkeit dieser Sozialfigur bestimmt: Während sie Entlastung von Verantwortung für NS-Verbrechen bedeutete, war das ihr zugrundeliegende Desengagement unter demokratischem Vorzeichen negativ konnotiert. In beiden deutschen Staaten repräsentierte der „Mitläufer“ eine ideologisch indifferente Masse, deren soziale Essenz in ihrem Konformismus bestand. Als Sozialfigur diente sie dazu, Modi der gesellschaftlichen und politischen Partizipation zu verhandeln, wobei sich die Bewertungsmaßstäbe mit dem jeweils vorherrschenden staatsbürgerschaftlichen Ideal wandelten.

Svenja Goltermann (Zürich)
Opfer. Zum historischen Wandel einer prekären Figur

Zuschreibungen, ein Opfer geworden zu sein, sind in weiten Teilen Europas seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert populär geworden – ein starker Kontrast zu dessen Beginn, als der Status des Opfers weitgehend den Toten vorbehalten war. Für die Lebenden galt, dass die Bezeichnung als Opfer in aller Regel mit einem Stigma behaftet war. Mit den Weltkriegen und dem Holocaust allein lässt sich der Aufstieg der Figur des Opfers zu einer relevanten Sozialfigur nicht erklären. Der Vortrag widmet sich dieser im 20. Jahrhundert überwiegend prekären Figur des Opfers, an der Verhältnisse von Gewalt und Macht, Sexualität, Verletzlichkeit, Resilienz und Subjektivität verhandelt wurden.

Laura Haßler (Potsdam)
Die Vorzeigefrau. Frauen in rechtsnationalistischen Organisationen der Bundesrepublik zwischen Agency und Instrumentalisierung

In der Sozialfigur der Vorzeigefrau verschmelzen die gesellschaftlichen Ängste, Wünsche und Hoffnungen, die mit dem Einzug von Frauen in Positionen von Handlungsmacht insbesondere in der Politik verbunden waren. Vor dem Hintergrund des Wandels von der Alibifrau zur Quotenfrau zwischen den 1960er und den 1980er Jahren untersucht der Vortrag am Beispiel rechtsnationalistischer Organisationen die Aushandlung der politischen Partizipation und gesellschaftlichen Rolle von Frauen und die changierende Funktion, die das Zeigen und Vorführen von Frauen für diese Organisationen erfüllte.

Jan Müggenburg (Lüneburg)
Der Pflegefall. Zur medientechnologischen Konstruktion einer Sozialfigur

Im Kontext steigender Lebenserwartung, veränderter Biografien und Familienstrukturen sowie eines wachsenden Bewusstseins für die Stigmatisierung, Segregation und Diskriminierung behinderter Menschen gehört der ›Pflegefall‹ spätestens seit Beginn der 1990er-Jahre zu den prägenden Sozialfiguren in der BRD. Seit Einführung der sozialen Pflegeversicherung im Jahr 1995 wird auf diese Entwicklung mit einem komplexen Begutachtungssystem reagiert: Hilfebedarfe werden festgestellt, (Un-)Fähigkeiten beurteilt und Menschen in Pflegestufen eingeteilt. Am Beispiel der Unterstützten Kommunikation in der Pflege erschließt der Vortrag die Bedeutung von Medientechnologien für diese gesellschaftliche Problemlage.

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