Precarious Prehistory – Fragile Knowledge and the Emergence of Deep Time
Abstract
The search for origins became particularly 'topical' in the 19th century: After the destabilization of religious worldviews and the discovery of geological 'deep time', the question of the age and development of the earth, life and mankind before the beginning of written tradition arose. The dimensions of the 'prehistoric deep time' were not yet foreseeable: new disciplines such as paleontology, paleoanthropology, or prehistory and early history had no written documents for this period, which could have given information about 'facts'. These had to be created first but were and are, for this reason alone, 'fragile'.
Fragile are the sources themselves. Artifacts, finds and findings are sparse, fragmentary, damaged during their recovery or lost again later and must often be reconstructed in a time-consuming process. Above all, however, their interpretation is controversial: authenticity, age and significance were hotly disputed, especially in the 19th century. And yet, on the basis of these sources, theses with far-reaching scientific, political and social implications were and still are formulated. Since then, knowledge about prehistory has served as a normative resource for argumentation about the 'natural' character and the living conditions of man, as a projection surface for current social concepts, or as a demarcation foil between 'culture' and 'nature', 'civilization' and 'primitiveness'.
The section looks at research and debates on prehistoric pasts from the 1830s to the present: how did contemporaries in different contexts deal with uncertainty, fragility and ambivalence of knowledge about prehistory? What verification strategies, narrative patterns and methods did they develop to create (apparent) unambiguity and stability? And what goals were associated with this?
Der Beitrag befasst sich mit der Entdeckung, Erforschung und taxonomischen Klassifizierung von Sauriern. Diese wertet er als bedeutenden Einschnitt der Wissenschaftsgeschichte und wichtige Etappe für die Durchsetzung eines auf der Evolutionslehre basierenden Weltbilds, wobei bis weit ins 20. Jahrhundert hinein darwinistische mit lamarckistischen und religiösen Deutungen koexistierten und verschränkt wurden. Angesichts der fragmentarischen und nur durch überzeitliche Analogieschlüsse zu interpretierenden fossilen Überlieferung griffen paläontologische Forschung, künstlerische Imagination und populärkulturelle Aneignung bei der Rekonstruktion der Saurier und ihrer Lebensweise von Beginn eng ineinander und beeinflussten sich wechselseitig.
Der Beitrag thematisiert, wie der Paläobiologe Franz Unger in Zusammenarbeit mit den Landschaftsmalern Joseph Kuwasseg und Joseph Selleny in den Jahren 1845–1868 in immer wieder neuen Anläufen versucht, der fragilen Quellenlage zum Trotz ein ,geologisches Bild‘ vom Urmenschen zu entwerfen. Er zeigt, wie der Urmensch dabei auf der geologischen Zeitskala immer tiefer verortet wird, dass es zur Hervorbringung der Urgeschichte neben dem Ausgraben, Ordnen, Vergleichen und Rekonstruieren auch des Reisens und Zeichnens bedarf, und dass die Leerstellen, die für die Öffentlichkeit entworfene Bilder noch aufweisen, in Bildern zum privaten Gebrauch bereits gefüllt werden.
Der Beitrag untersucht die Ambivalenz der Analogiebildung in der prähistorischen Forschung, indem er rekonstruiert, wie Mitte des 19. Jahrhunderts eine europäische Steinzeit der Pfahlbauten anhand lokaler archäologischer Artefakte, vor allem aber durch Vergleiche mit zeitgenössischen überseeischen Menschen ,erfunden‘ wird: Gezeigt wird, wie Akteure der Altertumskunde, Pazifikexploration, Naturforschung und Paläontologie der fragilen Faktenlage der ersten Epoche der Menschheitsgeschichte eine Imagination von Steinzeit entgegensetzen, die abgesichert durch die wissenschaftliche Analogiebildung als exotische Vorstellung von tiefer Vergangenheit angeeignet, popularisiert sowie zugleich als Lebensweise zur chronopolitischen Kategorie von entwicklungs- und zivilisationstheoretischer Differenz werden kann.
Der Beitrag befasst sich mit der politischen Instrumentalisierung von fragilen Fakten über die Urgeschichte. Angehörige indigener Gruppen betonen besonders in Nordamerika, dass ihre Vorfahren seit prähistorischer Zeit im Einklang mit der Natur gelebt hätten und erst deren Kolonisierung die Ausrottung von Tierarten und die Zerstörung von Lebensräumen zur Folge gehabt habe. Diese These ist jedoch stark umstritten, wobei sich wissenschaftliche und politische Debatten überlagern. Der Vortrag beleuchtet diesen Themenkomplex am Beispiel der Diskussion um den ‚pleistozänen Overkill‘, in der seit den 1970er Jahren darüber gestritten wird, ob das Massenaussterben der eiszeitlichen Megafauna vor ca. 12 000 Jahren von klimatischen Faktoren oder durch die Ankunft der ersten Menschen auf dem Kontinent verursacht wurde.
Die Quellen der Urgeschichtsforschung bestehen ausschließlich aus Überresten der materiellen Kultur. Auf den ersten Blick scheint ihnen ihre Materialität Eindeutigkeit zu verleihen; deshalb heißt es immer wieder ‚Funde erzählen Geschichte‘. Tatsächlich jedoch sind archäologische Quellen vieldeutig und müssen über Analogieschlüsse interpretiert werden, bei denen Unbekanntes mit Bekanntem gedeutet wird. Die Geschichten, die Funde angeblich erzählen, gründen folglich im Erfahrungshintergrund der Forschenden. Damit die Urgeschichte nicht zur Projektionsfläche für aktuelle Konzepte wird, ist es notwendig, dem spezifischen Charakter archäologischer Quellen Rechnung zu tragen: Je selbstreflexiver und vernetzter die Wissenskonstruktion erfolgt, desto valider sind die Geschichten, die mit den Quellen erzählt werden.