Alexa Stiller Željana Tunić (Sektionsleitung)

“Bones Never Lie”? Historical Facticity and Fragility of Human Remains

Download iCal

Abstract

After more than a hundred years during which osteological and forensic expertise on human remains and dead bodies was limited to archaeological excavations, autopsy rooms, and courtrooms, "bones" have now gained high media presence and popularity. In the context of exhumations related to war and mass violence, human remains as objects in colonial collections, or in the realm of big questions of prehistory and early history, bones and their forensic, provenance-related, or archaeogenetic investigation promise objectivity, classification and clarity regarding gender, origin, "race" and ethnicity, cause of death, and the presence of a crime. But to what extent is the popular belief "bones never lie" (Kathy Reichs) true?

In this interdisciplinary and epoch-spanning section, various practices of scientific examination, documentation, and exhibition of human remains will be explained. The speakers will critically question what factual information bones carry, to what extent their authenticity and "truth" are fragile and manipulable and to what extent political interests can construct certainties. At the same time, it should not be forgotten that human remains are not only objects but also ancestors and relatives. The handling of bones not only touches on archaeological, science-historical and forensic questions but also ethical, religious, and cultural ones. Our focus is on the interplay of different epistemic practices that apparently produce evidence-based knowledge and make human remains into very different entities: ancestors, relics, or evidence.

 

Susanne Hakenbeck (Cambridge)
Genetik, Archäologie und die Molekularisierung von "Rasse“

Im vergangenen Jahrzehnt hat die Archäogenetik bahnbrechende methodische Fortschritte gemacht. Antworten auf große Fragen in der Bevölkerungsgeschichte – wie z.B., ging Kulturwandel in der Vorgeschichte einher mit Migration? Wie weitreichend waren die 3 Migrationen der Völkerwanderungszeit? – scheinen jetzt erstmals in Reichweite. Allerdings stützt sich paläogenetische Forschung dabei häufig unkritisch auf archäologische Kulturgruppen, die mit ethnischen Gruppen identifiziert werden. Die dazu veröffentlichten Studien haben bei den Medien und der Öffentlichkeit oft große Resonanz, doch leider können deren biologistische Modelle von Ethnizität bei rechtsextremen Ideologien auf fruchtbaren Boden fallen. In diesem Beitrag wird untersucht, wie archäogenetische Studien in Vorstellungen von Rassenreinheit und Angst vor außereuropäischen Migranten einfließen können, die von rechtsextremen Ideologien geschürt werden.

Elsbeth Bösl (München) Doris Gutsmiedl-Schümann (Berlin)
Geschlechtsansprache in der Gräberarchäologie zwischen Beigabenkategorien und Molekulargenetik

Der Vortrag diskutiert die Möglichkeiten und Grenzen der interdisziplinären Geschlechtsansprache archäologisch untersuchter Bestattungen anhand aktueller Studien. Die Kombination von Zugängen unterschiedlicher Fächer hat in den letzten Jahrzehnten einen integrierten Blick auf Sex und Gender ermöglicht und trägt dazu bei tradierte Vorstellungen von der Bedeutung von Geschlecht in vergangenen Gesellschaften zu prüfen. Dadurch wird Geschlecht in der Geschichte freilich nicht gewisser, sondern komplexer. Wir markieren zudem die gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaft am Beispiel einiger medialer Debatten über spektakuläre Einzelfälle und deren ideologische Instrumentalisierung.

Gesine Krüger (Zürich)
Koloniale Knochen - postkoloniale Ahnen

In den Museen mit kolonialen Sammlungen besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass human remains weder ausgestellt noch behalten werden sollen. Können Nachfahren ausfindig gemacht werden oder gibt es sogar Rückforderungen, werden Schädel und Knochen zumeist aus den Sammlungen ausgeschieden und repatriiert. In diesem Prozess stellt sich die Frage nach dem Status der “Objekte”. Wie können sie wieder zu Ahninnen und Ahnen werden? Wie kann die lange Zeit ihrer Klassifizierung, Verzeichnung und Lagerung kompensiert werden? Gehört das Objekt-werden zu ihrer Biografie?

Željana Tunić (Halle-Wittenberg)
Nachahmung forensischer Objektivität - Herstellung nationalistischer Wahrheitsregime

In einer Atmosphäre wachsender ethnonationaler Spannungen im spätsozialistischen Jugoslawien starteten verschiedene Akteur:innen diverse Exhumierungsprojekte mit dem Ziel, umstrittene Opferrolle zu „beweisen“, insbesondere im Hinblick auf oftmals genozidal gedeutete Massengewalt während und nach dem Zweiten Weltkrieg. In dem Vortrag wird erörtert, wie forensische Logiken der Argumentation und Wahrheitsfindung diskursiv eingesetzt wurden, um unterschiedliche politische Agenden zu verfolgen und nationalistische Imaginationen zu unterstützen.

Alexa Stiller (Zürich)
„Massengräber, Kriegsverbrechen, Völkermord. Forensische Analyse im Jugoslawien-Tribunal“

Der Vortrag leuchtet die Möglichkeiten und Bedeutung der forensischen Analyse von menschlichen Überresten aus Massengräbern für die Strafverfolgung von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und dem Verbrechen des Völkermordes aus. Anhand der historischen Beispiele der Massenmorde im kroatischen Vukovar (1991) und im bosnischen Srebrenica (1995) werden erstens die Exhumierungen und Autopsien der Leichen der Opfer und die beteiligten forensischen Akteur*innen erläutert sowie zweitens die strafrechtlichen Ermittlungen, Forensische Anthropolog*innen als Sachverständige in den Prozessen und die Beweiskraft sowie Bedeutung der menschlichen Überreste vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien analysiert.

Ihr Feedback