Elisabetta Lupi Alexander Meeus Anabelle Thurn (Sektionsleitung)

Between Facticity and Construction: Fragile Facts as Historical and Historiographical Problem in the Study of Graeco-Roman Antiquity

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Abstract

When facts seem more fragile nowadays, a historical perspective is appropriate. Certainly, in the 21st century, the field of history is highly aware of the multiperspectivity of perception of reality, but the question remains how the discipline should deal with the multiplicity of perspectives: because the fact that every history can only reflect a limited perspective on historical reality does not mean that every perspective has the same empirical validity. The question of why certain perspectives meet with approval or rejection in their respective interpretive contexts can, in our opinion, be studied very fruitfully from an ancient historical perspective.

This section focuses on case studies in which the interpretive authority of certain actors or groups has decisively shaped the discourse on reality: factualness appears here, at best, as only one of the factors that influences the narrative, alongside political and generational power structures or cultural ideals of all kinds. By seeing how factualness has been demanded, asserted, or restricted in these cases, antiquity can function as a laboratory for the social negotiation of different perspectives. The greater our understanding of the complex mechanisms that play a role in the construction and acceptance of factual narratives in a variety of contexts, the more it is possible to determine how factualness and multiperspectivity can be reconciled intersubjectively, which can also bear fruit for the promotion of questioning problematic patterns of thought in schools and universities. Our concern therefore not only relates to fundamental historical problems but is also relevant to current issues - from postcolonialism to so-called lateral thinkers - for which increased intersubjectivity is urgently needed.

Alexander Meeus (Heidelberg)
Einführung

Dieser Vortrag widmet sich der Frage, wie die Tradition und der ethnographische Denkrahmen die Wahrnehmung der Realität von zeitgeschichtlichen und geographischen Zuständen geprägt haben. Strabons Behandlung der homerischen Lotophagen und Tacitus’ Judenexkurs sind zwei von vielen Beispielen, die sehr eindrücklich den Sieg der Tradition und der ethnographischen Topoi über den Empirismus und die Faktizität zeigen. Diese merkwürdige Sachlage lässt sich erklären, wenn man sich den Traditionalismus als epistemische Tugend der Griechen und Römer vor Augen führt und sich klar macht, wie stark die Autorität des Altehrwürdigen, der Vorfahren und des Konsenses war.

Elena Franchi (Trento)
Intentionale Geschichten im Dialog: die Phoker und die anderen Griechen

Der Vortrag konzentriert sich auf drei für das Schicksal der Phoker entscheidende Momente: die (erfolglose) Verteidigung der Thermopylen, den  ‚zweiten heiligen Krieg‘ und den ‚dritten heiligen Krieg‘. Die Phoker konstruierten in diesen Phasen ihre eigenen intentionalen Geschichten, zu denen wir aber keinen direkten Zugang haben. Welche sind die Medien, durch die sie uns erreichen? Inwieweit wurden diese Medien zu einem middle ground für die gemeinsame Erzeugung und gegenseitige Beeinflussung intentionaler Geschichten verschiedener Gruppen (z. B. Phoker und Athener), die den Bedürfnissen der jeweils anderen Seite Rechnung tragen konnten?

Jonas Scherr (Stuttgart)
Expertentum und Propaganda: Iuba II. von Mauretanien und die Gelehrsamkeit

Dieser Beitrag soll der Rolle von Expertentum im Rahmen der Etablierung fragiler Fakten nachgehen. Ein gut greifbares Einzelbeispiel dafür stellt der nordafrikanische Monarch Iuba II. von Mauretanien (ca. 50 v.u.Z – 23 u.Z.) mit seiner Publizistik dar: Mithilfe seines früh erworbenen Nimbus als sprichwörtlicher rex literatissimus (Ampelius) gelang es diesem, zunächst sein politisches Fortkommen, später seine Macht durch einen mitunter gezielt manipulativen Einsatz von Gelehrsamkeit zu sichern und zugleich das ihn stützende Regime des Augustus zu stabilisieren.

Elisabetta Lupi (Hannover)
Die Eröffnung neuer Möglichkeiten durch die rhetorische Verhandlung von exempla

Der Beitrag geht der Frage nach, wie politische Veränderungen in der späten römischen Republik und im frühen Principat durch den Rückgriff auf die exempla maiorum diskursiv verankert und legitimiert werden konnten. Die stetige Neuverhandlung des mos maiorum, die rhetorische Konstruktion neuer exempla sowie die Anerkennung der Veränderbarkeit der mores konnten neuartige Machtkonstellationen begründeten. Dabei wird deutlich, wie fragil ‚Fakten` in Rom waren und je nach politischer Zweckmäßigkeit Innovationsbereitschaft durch die kommunikative Konstruktion neuartiger Beispiele begründet werden konnte.

Anabelle Thurn (Freiburg)
Faktualisierungsphänomen Tradition. Dekadenz-Diskurse zwischen Republik und Gegenwart

Mit dem Alten Rom werden traditionell Dekadenzdiskurse verbunden, nicht zuletzt, weil sie auch zum Bestandteil des Untergangsnarrativs geworden sind. Bereits in der Spätantike werden luxuria-Motive rezipiert, die auf die spätrepublikanische, moralisierende Streitkultur zurückgehen. Das Narrativ verfügt damit über eine lange, auch antike Tradition, die seine Dekonstruktion uninteressant und unmöglich gemacht zu haben scheint. Der Vortrag zeichnet die Tradierung des Erzählmotivs nach und stellt damit die Validisierungsqualität der Tradierung an sich als faktualisierender Faktor von der Antike bis heute zur Diskussion.

 

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