Academic Precarity Between Pre-modernity and Modernity
Abstract
The aim of this section is to shed light on the relationship between academic work and precariousness, as well as the mechanisms of inclusion and exclusion and their consequences for the scientific community, from a historical perspective. In current as well as historical discussions, the question must be answered as to whether precariousness is a necessary component of the university complex and thus of the science system, or whether it must be seen as a result of contingent historical developments that stabilized path-dependently. For this purpose, a long-term perspective is indispensable. Specifically, this section aims to focus on the losers, the excluded, and the marginalized of the academic scientific community in Central Europe between pre-modern and modern times.
The competition for the always limited resources made available to activities of a "scholarly" nature led to conflicts. These served to demarcate a university sphere for those who could make a living from their education. It was negotiated who was qualified to perform such a job and how social status could be achieved and asserted under these conditions. With the institutionalization of a meritocratic claim, competitive selection became possible, but it was by no means the only way to make distinctions and exclusions.
However, the uncertain status of university employees was usually precarious not only in terms of their belonging to the universitas but also in other social or economic ways, both of which could cause or reinforce each other. Who and how many were affected? How important were they for the functioning and survival of the system? Are there structural and institutional continuities with the current situation, and can historical hindsight contribute to the current debate surrounding #IchbinHanna?
Prekarität ist ein Begriff der Soziologie des 20. Jahrhunderts, der für die Verhältnisse moderner Industriegesellschaften geprägt wurde. Aus historischer Perspektive ist also zu klären, inwieweit der Begriff auf vormoderne Verhältnisse anwendbar ist, und wie er für das akademische System der Vormoderne analytisch nutzbar gemacht werden kann
Im Vortrag werden universitäre Gutachten aus dem Jahr 1502 vorgestellt, die den damaligen Diskurs über prekäre Verhältnisse an der Universität Leipzig abbilden. Sie zeigen, dass bei den Magistern das akademische Alter als Prekaritätsdeterminante wahrgenommen wurde. Junge Magister hatten etwa weniger Mitbestimmungsrechte in der akademischen Selbstverwaltung und konnten deshalb nur die schlechter bezahlten Lehrveranstaltungen übernehmen. Ob man zu den «jungen» oder «alten» Magistern gehörte, wirkte sich also offenbar direkt auf den Grad der Prekarität aus. Der Vortrag macht deutlich, dass das akademische Alter damit eine wesentliche Komponente des Exklusions- und des Prekaritätsdiskurses war.
Eine ordentliche Professur garantierte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts keineswegs Einkünfte, die für eine standesgemäße Versorgung des eigenen Haushalts ausreichten; somit waren Professoren auf weitere Tätigkeiten oder ökonomische Aktivitäten ihrer Ehefrauen angewiesen. Der Vortrag widmet sich den Fragen, wie diese Faktoren die langfristige Etablierung im Wissenschaftsbetrieb stabilisierten oder limitierten und wie sich die Bedeutung der Faktoren im Zeitverlauf änderte.
Schon lange vor dem Ersten Weltkrieg wurde das Problem einer Überproduktion von Hochschulabsolventen beklagt. Dieses Problem wurde weniger als eine soziale Frage formuliert, sondern vielmehr als publizistisch-wissenschaftlicher und politischer Diskurs, der darauf abzielte, restriktive Maßnahmen hinsichtlich des Zugangs zum Studium einzuführen. Dieser Vortrag untersucht, ob dieses Schreckgespenst des „proletarischen Akademikers“ in der Zwischenkriegszeit aufgrund der veränderten sozialen und ökonomischen Bedingungen zur sozialen Realität geworden ist. Dieser Wandel wird anhand der Maßnahmen und Programme analysiert, die für „prekäre“ Studierende und Akademiker*innen eingesetzt wurden.
Der Mediävist und Frühneuzeit-Historiker Karl Brandi (1868–1946) gehört sicherlich nicht zu den Verlierern des akademischen Systems. Im Gegenteil, als Professor für deutsche Geschichte in Göttingen, Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und zweimaliger Vorsitzender des deutschen Historikerverbands (1909–1911; 1932–1937) war er im hohen Maße Teil des Systems. Der Vortrag zeigt, wie Karl Brandi in seiner am Lebensende verfassten Autobiographie Prekarität zum wissenschaftlichen Ideal und zur Initiationsphase stilisierte und dies zu einem integralen Teil seines Rollenverständnisses als Historiker und Wissenschaftler wurde.
Der Kommentar perspektiviert die Beiträge in doppelter Weise durch den Vergleich mit der aktuellen Diskussion um prekäre Beschäftigung im Wissenschaftsbetrieb und mit der Lage der mittelalterlichen Gelehrsamkeitslandschaft.