Die Abstracts der Sektionen wurden aktualisiert

Berichte und Bilder finden Sie in unserem Blog

Der Berichtsband erscheint voraussichtlich im Sommer 2009. Wir werden Sie an dieser Stelle weiterhin informieren.
header600_200_programm.jpg

Vortragstitel:
Erbeinung und Dynastie. Der Egerer Ausgleich von 1459
Tag:
01.10.2008
Epoche:
Epochenübergreifende Sektion
Sektion:
Asymmetrien in Vergangenheit und Gegenwart. Deutsche und Tschechen als ungleiche Nachbarn?

Abstract:

Erbeinung und Dynastie. Der Egerer Ausgleich von 1459 als Grundlage der sächsisch-böhmischen Beziehungen im 15. und 16. Jahrhundert

Referent/in: Uwe Tresp, Leipzig

In den Jahren 1459 und 1460 schloss der böhmische König Georg von Podiebrad eine Reihe von Bündnissen mit benachbarten deutschen Fürsten. Diese Bündnisse waren als Erbeinungen angelegt, sie sollten also von den jeweiligen Erben und Nachfolgern fortgesetzt werden. Sie hatten zum einen den Zweck, seit längerem bestehende Konflikte Böhmens mit seinen deutschen Nachbarländern beizulegen, und einen künftigen Streitaustrag auf friedlichem Weg vorzugeben. Zum anderen sollten parallel auch die in den jeweiligen Ländern regierenden Herrscherhäuser familiär miteinander verbunden werden, um den gewünschten nachbarschaftlichen Frieden über dynastische Netzwerke zu stabilisieren. Aus dieser Absicht heraus wurden im Zuge der Erbeinungen insgesamt vier Ehen von Kindern des böhmischen Königs mit Kindern der deutschen Fürstenhäuser der Wettiner in Sachsen-Meißen und in Thüringen, der Hohenzollern in Franken und Brandenburg sowie der Wittelsbacher in Bayern projektiert, die bis auf die böhmisch-bayerische Verbindung alle zustande kamen.
Nach einer Phase der teilweisen gegenseitigen Entfremdung, hauptsächlich verursacht durch die Hussitische Revolution, vertiefte und stabilisierte sich mit diesen durch Podiebrad initiierten Erbeinungen das vielfältige Beziehungsgeflecht zwischen Böhmen und seinen deutschen Nachbarn auf neuer Grundlage. Sie eignen sich daher in besonderem Maße als Ausgangspunkt einer Beziehungsgeschichte, die sich nicht mehr allein als Analyse der politischen Verhältnisse, sondern auch der sozialen und kulturellen Kontakte versteht.
Ein besonderes Gewicht innerhalb dieses Bündnisprogramms besaß die sächsisch-böhmische Erbeinung, die seit 1482 auch als „Ewige Einung" bezeichnet wurde. Tatsächlich sollte sie die Grundlage dafür sein, dass die territoriale Konkurrenz zwischen Sachsen und Böhmen beendet sowie eine weitgehend friedliche Nachbarschaft für mehrere Generationen gesichert werden konnte. Daher wird ihr auch in der sächsischen Landesgeschichte traditionell ein hoher Stellenwert beigemessen, allerdings verbunden mit einer gleichzeitigen Relativierung, die aus einer einseitigen Betonung der lehnsrechtlichen Regelungen der Erbeinung resultierte. Der eigentliche Schlüssel für die lange Wirksamkeit des sächsisch-böhmischen Vertrages von 1459 lag jedoch in den institutionalisierten Regeln zu Bündnishilfe, Konfliktvermeidung und Schiedsgerichtsbarkeit. Diese waren ein üblicher Kern mittelalterlicher Einungen, etwa von Städtebünden oder Adelsgesellschaften. Im Fall der sächsisch-böhmischen Erbeinung aber wurde die angestrebte langfristige Stabilität dadurch gefährdet, dass es sich um eine Verbindung von Partnern mit unterschiedlichen Voraussetzungen handelte: einer erblichen Landesherrschaft und einer von den Ständen dominierten Wahlmonarchie. Der Vertrag wurde also einerseits von Dynastien, bei Böhmen jedoch auch durch das Land geschlossen. Um dennoch die gewünschte „erbliche" Kontinuität zu erreichen, mussten auch die mit den gleichzeitig geschlossenen Ehen der Herrscherhäuser aufgebauten dynastischen Beziehungen besonders eng sein. Zu Lebzeiten Podiebrads funktionierte dies so gut, dass die sächsisch-böhmischen Beziehungen nicht einmal von den erneut aufflammenden Glaubenskämpfen in Böhmen beeinträchtigt wurden. Die Situation änderte sich jedoch nachhaltig mit dem Tod des böhmischen Königs 1471. Seine Nachkommen waren nicht in der Lage, fortgesetzte Ansprüche auf eine Thronfolge zu erheben. Ihnen blieben lediglich die während der Königsherrschaft erworbenen Titel als Reichsfürsten und Herzöge von Schlesien in Münsterberg und Öls sowie Grafen von Glatz. Allerdings behielten sie daneben auch ihre führende Stellung innerhalb des böhmischen Adels inne, mit der sie weiterhin großen Einfluss auf Stände und Königtum Böhmens besaßen. Die sächsisch-böhmische Erbeinung hingegen wurde unter neuen Bedingungen 1482 erneuert - diesmal zwischen den Wettinern und dem böhmischen König aus der polnischen Dynastie der Jagiellonen.

Die 1459 in Eger zwischen Sachsen und Böhmen geschlossenen Verbindungen beeinflussten also ab 1471/82 auf zwei verschiedenen Ebenen das gegenseitige Verhältnis:
1) Die fortgesetzte Erbeinung zwischen beiden Ländern blieb die vertragliche Grundlage der Nachbarschaft, die für Stabilität sowohl im Alltag wie auch bei Streitfällen und Krisen sorgte. Besondere Bedeutung kam dabei zunächst der Regulierung von Fehdeverfolgung und Straßensicherung im Grenzraum zu, wofür 1505 noch eine Vertragserweiterung vorgenommen wurde. Im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts wurde die Erbeinung - bedingt durch verschiedene Herrscherwechsel - mehrfach erneuert (1530, 1546, 1557, 1571, 1579 und 1587), was die fortgesetzte Wertschätzung, die ihr beide Seiten entgegenbrachten, deutlich macht. Allerdings veränderten sich ab dem Ende des Jahrhunderts Perspektiven. Nun ging es nicht mehr vorrangig um die Befriedung des Grenzraumes und die gegenseitige Absicherung territorialer Interessen. Kaiser Rudolph II., der ab 1575 König von Böhmen war, entdeckte die Erbeinung mit Sachsen als geeignetes Instrument, um von den Wettinern militärische Hilfe gegen Polen (1588) und schließlich auch für die Türkenkriege (1594, 1596, 1602 und 1605) einzufordern. Sowohl bei den Ernestinern als auch bei den Albertinern sorgten diese Forderungen für ein allmähliches Umdenken über die rechtlichen Folgen der Erbeinung.
2) Die dynastische Verbindung zwischen den Wettinern und dem Haus Podiebrad, also den Herzögen von Schlesien-Münsterberg, blieb weiterhin ein wichtiges Element in den Beziehungen zwischen Sachsen und den böhmischen Ländern. Auch wenn die Nachkommen König Georgs von Podiebrad die Krone den Jagiellonen überlassen mussten, behielten sie dennoch eine führende Rolle in der böhmischen Politik bei, entsprechend ihrem Rang und ihrer Herkunft. Zudem standen sie während der Jagiellonenherrschaft, die ab 1490 eine Fernherrschaft von Ungarn aus war, an der Spitze der Landesverwaltung. Da die sächsisch-böhmische Erbeinung trotz mehrfacher Erneuerung nicht wieder durch eine dynastische Verbindung zwischen den jeweiligen Herrscherhäusern ergänzt wurde, blieb die Verwandtschaft von Wettinern und Podiebradern noch über mehrere Jahrzehnte hinweg eine wesentliche Basis der Kommunikation und des Kulturtransfers zwischen den Höfen in Sachsen, Thüringen, Schlesien und Böhmen.