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Der Berichtsband erscheint voraussichtlich im Sommer 2009. Wir werden Sie an dieser Stelle weiterhin informieren.
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Vortragstitel:
Nicht nur Ungleichheiten. Das Reich deutscher Nation und die Bundesrepublik Deutschland
Tag:
01.10.2008
Epoche:
Frühe Neuzeit
Sektion:
Brauchen wir eine neue deutsche Meistererzählung? Perspektiven aus der Frühen Neuzeit

Abstract:

Nicht nur Ungleichheiten. Das Reich deutscher Nation und die Bundesrepublik Deutschland

Referent/in: Johannes Burkhardt, Augsburg

Bald nachdem sich amerikanische Staatsgründer bei Prof. Pütter in Göttingen bundesstaatli-chen Expertenrat geholt hatten (Overhoff), verkündete der kommende Berliner Staatsphilo-soph Hegel noch zu Lebzeiten des Reiches „Deutschland ist kein Staat mehr". Dann muß es jedoch vorher einmal einer gewesen sein, und damit erscheint ein politischer Systemver-gleich zwischen dem Reich deutscher Nation und der Bundesrepublik prinzipiell möglich. Leider mußte der Referent als erstes eine schreckliche Entdeckung mitteilen, die er mit Kar-tenmaterial untermauerte: Auch die Bundesrepublik Deutschland ist kein Staat mehr! Es handelt sich vielmehr um einen buntscheckigen Flickenteppich aus 16 Ländern unterschied-licher Größe, mit wenigen gesamtstaatlichen Behörden, aber einer Unzahl von „Landesfürs-ten", Landesministern, Landgerichten und Landtagen, oft noch weiter zersplittert in Be-zirkstage, Kreistage und Gemeinderäte. Lange wird dieses reformunfähige Monstrum, das nicht einmal eine ordentliche zentrale Exekutive hat, sondern selbst die vollziehende Gewalt und die Sicherheitsinteressen einer weit zahlreicheren Landespolizei überläßt, nicht mehr machen ...

Mit solchen kurz vor dem Eingreifen des Verfassungsschutzes Halt machenden Parallelen wollte der Referent nicht die Bundesrepublik desavouieren, sondern diejenigen zum Nach-denken einladen, die in der Vergangenheit abwerten, was sie in der Gegenwart gar nicht in Frage stellen. Natürlich gibt es auch wohlbekannte große Unterschiede zwischen einer auf Volkssouveränität und Demokratie gegründeten Gegenwart und andererseits einem Lehens-reich mit zeremoniell inszenierten Rangungleichheiten, deren exotische Alteritäten heute als symbolische Formen neue Aufmerksamkeit finden und auch finden sollen. Aber mit einem strukturellen Blick aus gegenwärtiger Perspektive läßt sich auch ein Subtext der Gleichheiten oder Ähnlichkeiten erkennen, der für das Verständnis der historischen Dimension unseres politischen Systems freigelegt und unters volkssouveräne Volk gebracht gehört: ein für die Epoche hochentwickelte Maß an Rechtssicherheit, Friedensfähigkeit und Partizipation und eine Föderalismusfähigkeit, die eine Kernkompetenz der deutschen Geschichte darstellt. Kann sie für eine konsensfähige Meistererzählung benutzt werden? Der Referent verwies anhand der legitimiereden Präambeln der Verfassungen des 19. und 20. Jahrhunderts dar-auf, wie viele föderale Errungenschaften des Reiches deutscher Nation in allen politischen Systemen - mit Ausnahme der totalitären Unterbrechungen - bis in die Gegenwart stecken und plädierte für eine unverkürzte Erinnerungskultur unseres politischen Systems.