Jan Kellershohn, Eva-Maria Roelevink, Henning Türk (Sektionsleitung)

Die vergangene Zukunft der Kohle. Braunkohlenbergbau in deutsch-deutscher Perspektive

Themen: Neuere und Neueste Geschichte, Zeitgeschichte, Sozialgeschichte, Wirtschaftsgeschichte
Sprache: Deutsch
Ort: Hörsaal 1
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Die historische Erforschung der Braunkohle bleibt seit Jahrzehnten stark hinter der Erforschung der Steinkohlenwirtschaft zurück. Bekannt ist: die Steinkohlenwirtschaft war seit dem 19. Jahrhundert mächtig, politisch einflussreich und ausgesprochen gut vernetzt. Über den anderen – und den nach 1945 weit stärker an Bedeutung gewinnenden bergbaulichen Zweig – die Braunkohlenwirtschaft – ist dagegen nur wenig bekannt. Dabei handelt(e) es sich zweifelsohne um eine mächtige bergbauliche Industrie, wenn sie auch strukturell und unternehmerisch ganz anders verfasst war als die Steinkohlenwirtschaft.

Die Sektion befasst sich mit der Entwicklung der deutschen Braunkohlenwirtschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als zentraler Ausgangspunkt für die Bewertung der dynamischen Macht der Braunkohlenwirtschaft in den beiden deutschen Staaten dient die Zukunftsperspektivierung der an der Industrie beteiligten Akteure. Bergbauliche Industrien binden erhebliche Kapitalsummen. Das in den Berg investierte Kapital ist zwar kein stehendes, aber es ist in besonderer Weise gebunden und daher auf längere Sicht investiert. Gleichzeitig geriet die Braunkohle als Energieträger ab Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend unter Druck: Mit der Atomenergie sowie Öl und Gas erwuchs eine Ressourcenkonkurrenz, die den Zukunftshorizont der Kohle immer stärker beeinflusste. Mit welchen Zukunftsperspektiven blickten die Verantwortlichen in Ost und West auf diese in Regionen wie dem Rheinland oder dem Mitteldeutschen Revier zentrale Industrie? Welches Potential und welche Macht wurden der Braunkohle zugeschrieben? Welchen Stellenwert nahm die Braunkohle in dem sich entwickelnden Energiemix in der Bundesrepublik und der DDR ein? Und wie beobachteten sich west- und ostdeutsche Branchenvertreter gegenseitig?

Geplant sind eine kurze Einleitung sowie drei Vorträge. Für die Diskussion sind rund 30 Minuten vorgesehen.

Die Zukunft der Braunkohle im Rheinischen Revier. Der Tagebau Hambach, 1940–1978
Henning Türk (Bonn)

Der umstrittene Tagebau Hambach hat mit dem politisch beschlossenen Ende der Braunkohleförderung keine Zukunft mehr. Diese Entwicklung war bei seiner Eröffnung 1978 nicht abzusehen. Stattdessen sollte der größte Tagebau Europas die Zukunft des Rheinischen Reviers über Jahrzehnte hinaus sichern. Diese Erwartungen sollen anhand unternehmensgeschichtlicher Quellen analysiert werden. Wie wandelten sich die Zukunftserwartungen von den ersten Probebohrungen 1940 bis zur Eröffnung des Tagebaus durch die Rheinbraun AG? Welche Rolle spielten externe Faktoren, wie etwa das Aufkommen der Atomenergie? Welchen Machtanspruch gegenüber der Politik leitete das Unternehmen aus den Zukunftserwartungen ab?

Von Kohle zu Öl. Die Energiewende in der energieintensiven Industrie
Charlotte Kalenberg (Bonn)

Nachdem Kohle jahrzehntelang die Energieversorgung dominierte, veränderte sich das Angebot mit dem Import von Öl und später Erdgas grundlegend. Industrien, die in hohem Maße abhängig von Energie waren, reagierten auf die neuen Verfügbarkeiten, wobei die Zukunft der Kohlen- wie auch der Ölversorgung Unsicherheiten unterlag. Fallstudien aus der energieintensiven Zementindustrie geben Einblick in die Faktoren, die bei der Entscheidung für den Energiemix der Industrie von Bedeutung waren. Dabei gilt es, nicht nur Kohle und Öl zu differenzieren, sondern auch die aus Verbraucherperspektive relevanten Unterschiede zwischen Stein- und Braunkohle herauszuarbeiten.

Das Ende des Bergbaus. Planungen für die Zukunft des Mitteldeutschen Reviers in der DDR
Jan Kellershohn (Halle a.d.S.)

Kein Staat der Welt war so abhängig von der Braunkohleförderung und -verstromung wie die DDR. In der historischen Forschung dominiert die Lesart, dass diese insbesondere seit den 1970er Jahren zutage tretende Fixierung auf die Braunkohle einen notwendigen Strukturwandel verzögert habe. Aus diesem Aufschub hätte sich dann der Strukturbruch der 1990er Jahre als zeitlich komprimiertes Nachholen ergeben. Anhand der Braunkohleplanungen für das Geiseltal südlich von Halle untersucht der Beitrag die Praxis und die Binnenlogiken der Braunkohlenplanung der DDR für die Zeit nach der Kohle. Die Felder Energie- und Personalpolitik zeigen eine Dynamik von Erwartung und Planung, die über die Diagnose der Strukturblockade hinausgeht.

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