Sektionsübersicht Herzlich willkommen auf der Homepage des 48. Deutschen Historikertages http://www.historikertag.de/Berlin2010/index.php/wissenschaftliches-programm/sektionsuebersicht/categoryevents/127 2011-10-28T13:25:24Z Joomla! 1.5 - Open Source Content Management Die Erfindung des Fremden: Das Türkenbild in Mittelalter und Früher Neuzeit 2010-03-27T16:05:55Z 2010-03-27T16:05:55Z http://www.historikertag.de/Berlin2010/index.php/wissenschaftliches-programm/sektionsuebersicht/details/428 Title: Die Erfindung des Fremden: Das Türkenbild in Mittelalter und Früher Neuzeit<br />Venue: Geschichtsdidaktik / <br />Category: Kulturen im Konflikt? Zur Begegnung von Orient und Okzident<br />Date: 29.09.2010<br />Time: 15.15 h - 18.00 h<br />Description: <p style="text-align: left; "><b>Die Erfindung des Fremden: Das Türkenbild in Mittelalter und Früher Neuzeit</b></p><p style="text-align: left; ">Referent/in: Hartmann Wunderer, Wiesbaden</p><p style="text-align: left; "><br /></p><p style="text-align: left; "><b>Abstract</b></p><p style="text-align: left; "><p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem expandierenden Osmanischen Reich und europäischen Staaten prägten seit dem Spämittelalter bis ins 18. Jahrhundert das Bild von den „Türken“. Die Türkenfurcht wurde ein großes Thema in innereuropäischen politischen und religiösen Auseinandersetzungen. Entsprechend den militärischen Konstellationen verschoben sich allerdings allmählich die Wahrnehmungsmuster. Die heute erneut politisch und sozial überaus wirksamen und nicht selten irrationalen „Überflutungsängste“ greifen auf Muster zurück, die im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit entwickelt wurden. Diese – durchaus facettenreichen - Bilder und Stereotypien werden näher untersucht werden.</span></p><p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold"><br /></span></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Türkenkriege und Medienkriege<o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Mitteleuropa wurde seit der Eroberung von Konstantinopel von Türkentraktaten schier überflutet. Dabei dominierte klar eine dramatisierende Übertreibung der tatsächlichen oder vermeintlichen Türkengefahr. Berichtet wurde von brutalen Überfällen und Eroberungen der „Türken“. Türkendrucke berichteten in rascher Folge von dem Belagerungen und Kämpfen sowie insbesondere von brutalen Greueltaten dieser neuen Gefahr aus dem Osten. Fingierte kirchliche Briefe machten die Runde, in denen Schauergeschichten erzählt wurden.</span></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Bisweilen wurde – entsprechend der apokalyptischen Signatur des frühen 16. Jahrhunderts – mit dem Vordringen der Türken das nahe Weltende prognostiziert. Das reflektiert sich auch in zahlreichen berühmten Kunstwerken etwa von Dürer. <o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Die „Türkengefahr“ wird auch bei den innerreligiösen Konflikten des 16. Jahrhunderts in folgenreicher Weise instrumentalisiert. Vor allem Luthers häufig artikulierten antitürkischen Ressentiments wird eine beachtliche Folgewirkung zugeschrieben. Freilich verknüpft Luther seine antitürkische Agitation mit seiner antipapistischen Polemik, und hier wird offenbar eine Besonderheit antiosmanischer bzw. antimuslimischer Pamphletik deutlich: Offensichtlich zielt Luther gleichermaßen auf „die Türken“ wie auf den Papst, seinen „Intimfeind“, die Negativbeschreibungen gelten beiden gleichermaßen. Und weiterhin dienen die antitürkischen Klischees dazu, Missstände im eigenen Land anzuprangern.</span></p> <p class="MsoBodyText" align="left" style="text-align:left"><span style="mso-bidi-font-weight: bold">Aus mitteleuropäischer Perspektive wird dabei wenig in den Blick genommen, wie sich die „Islamisierung“ des Balkan vollzog. Während die traditionelle Sichtweise bei diesem Prozess glaubenseifernde Muslime am Werk sehen, die mit „Feuer und Schwert“ zu Werke gingen, betonen Vertreter einer modernen Osmanistik, dass sich diese Islamisierung eher auf freiwilliger Basis abspielte, konnten sich doch auf diese Weise Völker ihren ehemaligen – wenig toleranten – orthodoxen ostkirchlichen Zwingherren entziehen. </span></p> <p class="MsoNormal"><br /></p><p class="MsoNormal">Mediale Dämonisierung versus Realpolitik&nbsp;</p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Die Wahrnehmung der Türken im „Abendland“ vollzog sich nicht im politisch luftleeren Raum, sondern im Rahmen der großen politischen Konflikte zwischen dem Papst, dem Heiligen Römischen Reich, Frankreich, Venedig und anderen italienischen Republiken, Spanien und England. Und da liefen die Konfliktlinien keineswegs zwischen dem dämonisierten Orient und dem christlichen Okzident, sondern verwirrend kreuz und quer. Sicherlich existierte bereits damals ein rudimentäres Bewusstsein von „Europa“, es war aber – entgegen dem medial inszenierten Feindbild „Muslime/Türkei“ – keineswegs so wirksam und eindeutig wie heute, auch wenn die Feindbilder bereits damals apodiktisch abwertende wie negative Zuschreibungen enthielten, die eigentlich keine militärischen oder politischen Koalitionen zuließen. <o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal"><br /></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Demonstration der neuen Überlegenheit: Verschleppung von Türken und Turquerien</span></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Türken leben nicht erst seit dem „Wirtschaftswunder“ der ausgehenden 1950er und frühen 1960er Jahre in Deutschland, als sie als „Gastarbeiter“ angeworben wurden, sondern bereits seit 300 Jahren. Auslöser hierfür waren die Türkenkriege. Nach diesen Kriegen wandelte sich das Bild vom „bedrohlichen Türken“, an seine Stelle trat zunehmend das Interesse am Exotisch-Fremden. Aber auch der Orientalismus war geboren. Darunter verstehen einige Historiker einen eurozentrischen Blick auf den Orient, der gepägt ist von einem Überlegenheitsgefühl, bei dem einem „aufgeklärten Westen“ ein „mysteriöser Orient“ gegenübergestellt wird. Dieser Blick setze letztlich die tief sitzende Tradition von Feindseligkeit gegenüber dem Islam fort und legitimierte eine kolonialistische Haltung gegenüber der muslimischen Welt.</span></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Im 18. und 19. Jahrhundert, im Zeitalter des Nationalismus, erlosch allmählich das Bewusstsein von einer „Türkengefahr“. Im wenig reformorientierten Osmanischen Reich machten sich Zerfallserscheinungen breit, der interkulturelle Austausch ähnelte eher einer Einbahnstraße, das Interesse des Orients am „Westen“ war eher gering, und zugleich wandelte sich in Europa das Bild von den „grausamen“ Türken. Changierte die Wahrnehmung der Türken früher zwischen Furcht und Bewunderung angesichts der militärischen Leistungen, trat nun an die Stelle des gefürchteten Kriegers ein unterschwelliger Spott, Häme und/oder gar Verachtung, auf jeden Fall aber auch eine Neugierde auf das Exotisch-Fremde. Die europäischen Höfe schmückten sich jetzt nicht nur mit einem „Vorzeige-Mohren“ aus Schwarzafrika, sondern auch mit einem „echten“ Türken, der Neugier, Aufsehen und Bewunderung fand.</span></p><p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold"><br /></span></p><p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Toleranz, Menschlichkeit und Großzügigkeit</span>&nbsp;</p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Vor allem in der Zeit der Aufklärung, als die Türkengefahr bereits merklich abgeflaut war, verschob sich deutlich das Bild von den Muslimen und Türken. Das Bild changiert nun zwischen der Akzentuierung eines blutrünstigen und intoleranten Glaubens einerseits und Tugenden wie Zuvorkommenheit, Barmherzigkeit und Gastfreundschaft andererseits. Anfänge einer Orientalistik als wissenschaftlicher Disziplin zeichneten sich ab. <o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal"><br /></p><p class="MsoNormal">Reiseliteratur</p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Diese Widersprüchlichkeit<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>kennzeichnet auch die im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert anschwellende Literatur über den Orient. Freilich kennen viele der Autoren diesen gar nicht aus eigener Anschauung, sondern „erfinden“ sich „ihren“ Orient. Andere benutzen den Orient nicht als Raum zur kritischen Selbstreflektion, sondern zur selbstgefälligen Selbstvergewisserung, wenn das Eigene und das Fremde schroff gegenübergestellt werden.</span></p><p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold"><br /></span></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Ausblick: Der kranke Mann am Bosporus – nationale Fremd- und Selbstbilder</span></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Im 19. Jahrhundert ändert sich das Türkenbild erneut gravierend. Ein Auslöser hierfür war der im Jahr 1821 einsetzende griechische Befreiungskampf gegen die osmanische Herrschaft, der breite Unterstützung und Solidarität bei europäischen Intellektuellen und Adligen fand. <o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal" style="text-align: left; "><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Die Muster, die dabei entwickelt wurden, vermischen sich mit traditionellen und sie prägen aber auch immer noch unser gegenwärtiges Türkenbild, das ebenfalls von Nichtverstehenwollen, Ablehnung und Geringschätzung bis Verachtung bestimmt ist.&nbsp;<o:p></o:p></span></p></p> Title: Die Erfindung des Fremden: Das Türkenbild in Mittelalter und Früher Neuzeit<br />Venue: Geschichtsdidaktik / <br />Category: Kulturen im Konflikt? Zur Begegnung von Orient und Okzident<br />Date: 29.09.2010<br />Time: 15.15 h - 18.00 h<br />Description: <p style="text-align: left; "><b>Die Erfindung des Fremden: Das Türkenbild in Mittelalter und Früher Neuzeit</b></p><p style="text-align: left; ">Referent/in: Hartmann Wunderer, Wiesbaden</p><p style="text-align: left; "><br /></p><p style="text-align: left; "><b>Abstract</b></p><p style="text-align: left; "><p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem expandierenden Osmanischen Reich und europäischen Staaten prägten seit dem Spämittelalter bis ins 18. Jahrhundert das Bild von den „Türken“. Die Türkenfurcht wurde ein großes Thema in innereuropäischen politischen und religiösen Auseinandersetzungen. Entsprechend den militärischen Konstellationen verschoben sich allerdings allmählich die Wahrnehmungsmuster. Die heute erneut politisch und sozial überaus wirksamen und nicht selten irrationalen „Überflutungsängste“ greifen auf Muster zurück, die im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit entwickelt wurden. Diese – durchaus facettenreichen - Bilder und Stereotypien werden näher untersucht werden.</span></p><p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold"><br /></span></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Türkenkriege und Medienkriege<o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Mitteleuropa wurde seit der Eroberung von Konstantinopel von Türkentraktaten schier überflutet. Dabei dominierte klar eine dramatisierende Übertreibung der tatsächlichen oder vermeintlichen Türkengefahr. Berichtet wurde von brutalen Überfällen und Eroberungen der „Türken“. Türkendrucke berichteten in rascher Folge von dem Belagerungen und Kämpfen sowie insbesondere von brutalen Greueltaten dieser neuen Gefahr aus dem Osten. Fingierte kirchliche Briefe machten die Runde, in denen Schauergeschichten erzählt wurden.</span></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Bisweilen wurde – entsprechend der apokalyptischen Signatur des frühen 16. Jahrhunderts – mit dem Vordringen der Türken das nahe Weltende prognostiziert. Das reflektiert sich auch in zahlreichen berühmten Kunstwerken etwa von Dürer. <o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Die „Türkengefahr“ wird auch bei den innerreligiösen Konflikten des 16. Jahrhunderts in folgenreicher Weise instrumentalisiert. Vor allem Luthers häufig artikulierten antitürkischen Ressentiments wird eine beachtliche Folgewirkung zugeschrieben. Freilich verknüpft Luther seine antitürkische Agitation mit seiner antipapistischen Polemik, und hier wird offenbar eine Besonderheit antiosmanischer bzw. antimuslimischer Pamphletik deutlich: Offensichtlich zielt Luther gleichermaßen auf „die Türken“ wie auf den Papst, seinen „Intimfeind“, die Negativbeschreibungen gelten beiden gleichermaßen. Und weiterhin dienen die antitürkischen Klischees dazu, Missstände im eigenen Land anzuprangern.</span></p> <p class="MsoBodyText" align="left" style="text-align:left"><span style="mso-bidi-font-weight: bold">Aus mitteleuropäischer Perspektive wird dabei wenig in den Blick genommen, wie sich die „Islamisierung“ des Balkan vollzog. Während die traditionelle Sichtweise bei diesem Prozess glaubenseifernde Muslime am Werk sehen, die mit „Feuer und Schwert“ zu Werke gingen, betonen Vertreter einer modernen Osmanistik, dass sich diese Islamisierung eher auf freiwilliger Basis abspielte, konnten sich doch auf diese Weise Völker ihren ehemaligen – wenig toleranten – orthodoxen ostkirchlichen Zwingherren entziehen. </span></p> <p class="MsoNormal"><br /></p><p class="MsoNormal">Mediale Dämonisierung versus Realpolitik&nbsp;</p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Die Wahrnehmung der Türken im „Abendland“ vollzog sich nicht im politisch luftleeren Raum, sondern im Rahmen der großen politischen Konflikte zwischen dem Papst, dem Heiligen Römischen Reich, Frankreich, Venedig und anderen italienischen Republiken, Spanien und England. Und da liefen die Konfliktlinien keineswegs zwischen dem dämonisierten Orient und dem christlichen Okzident, sondern verwirrend kreuz und quer. Sicherlich existierte bereits damals ein rudimentäres Bewusstsein von „Europa“, es war aber – entgegen dem medial inszenierten Feindbild „Muslime/Türkei“ – keineswegs so wirksam und eindeutig wie heute, auch wenn die Feindbilder bereits damals apodiktisch abwertende wie negative Zuschreibungen enthielten, die eigentlich keine militärischen oder politischen Koalitionen zuließen. <o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal"><br /></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Demonstration der neuen Überlegenheit: Verschleppung von Türken und Turquerien</span></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Türken leben nicht erst seit dem „Wirtschaftswunder“ der ausgehenden 1950er und frühen 1960er Jahre in Deutschland, als sie als „Gastarbeiter“ angeworben wurden, sondern bereits seit 300 Jahren. Auslöser hierfür waren die Türkenkriege. Nach diesen Kriegen wandelte sich das Bild vom „bedrohlichen Türken“, an seine Stelle trat zunehmend das Interesse am Exotisch-Fremden. Aber auch der Orientalismus war geboren. Darunter verstehen einige Historiker einen eurozentrischen Blick auf den Orient, der gepägt ist von einem Überlegenheitsgefühl, bei dem einem „aufgeklärten Westen“ ein „mysteriöser Orient“ gegenübergestellt wird. Dieser Blick setze letztlich die tief sitzende Tradition von Feindseligkeit gegenüber dem Islam fort und legitimierte eine kolonialistische Haltung gegenüber der muslimischen Welt.</span></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Im 18. und 19. Jahrhundert, im Zeitalter des Nationalismus, erlosch allmählich das Bewusstsein von einer „Türkengefahr“. Im wenig reformorientierten Osmanischen Reich machten sich Zerfallserscheinungen breit, der interkulturelle Austausch ähnelte eher einer Einbahnstraße, das Interesse des Orients am „Westen“ war eher gering, und zugleich wandelte sich in Europa das Bild von den „grausamen“ Türken. Changierte die Wahrnehmung der Türken früher zwischen Furcht und Bewunderung angesichts der militärischen Leistungen, trat nun an die Stelle des gefürchteten Kriegers ein unterschwelliger Spott, Häme und/oder gar Verachtung, auf jeden Fall aber auch eine Neugierde auf das Exotisch-Fremde. Die europäischen Höfe schmückten sich jetzt nicht nur mit einem „Vorzeige-Mohren“ aus Schwarzafrika, sondern auch mit einem „echten“ Türken, der Neugier, Aufsehen und Bewunderung fand.</span></p><p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold"><br /></span></p><p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Toleranz, Menschlichkeit und Großzügigkeit</span>&nbsp;</p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Vor allem in der Zeit der Aufklärung, als die Türkengefahr bereits merklich abgeflaut war, verschob sich deutlich das Bild von den Muslimen und Türken. Das Bild changiert nun zwischen der Akzentuierung eines blutrünstigen und intoleranten Glaubens einerseits und Tugenden wie Zuvorkommenheit, Barmherzigkeit und Gastfreundschaft andererseits. Anfänge einer Orientalistik als wissenschaftlicher Disziplin zeichneten sich ab. <o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal"><br /></p><p class="MsoNormal">Reiseliteratur</p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Diese Widersprüchlichkeit<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>kennzeichnet auch die im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert anschwellende Literatur über den Orient. Freilich kennen viele der Autoren diesen gar nicht aus eigener Anschauung, sondern „erfinden“ sich „ihren“ Orient. Andere benutzen den Orient nicht als Raum zur kritischen Selbstreflektion, sondern zur selbstgefälligen Selbstvergewisserung, wenn das Eigene und das Fremde schroff gegenübergestellt werden.</span></p><p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold"><br /></span></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Ausblick: Der kranke Mann am Bosporus – nationale Fremd- und Selbstbilder</span></p> <p class="MsoNormal"><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Im 19. Jahrhundert ändert sich das Türkenbild erneut gravierend. Ein Auslöser hierfür war der im Jahr 1821 einsetzende griechische Befreiungskampf gegen die osmanische Herrschaft, der breite Unterstützung und Solidarität bei europäischen Intellektuellen und Adligen fand. <o:p></o:p></span></p> <p class="MsoNormal" style="text-align: left; "><span style="mso-bidi-font-weight:bold">Die Muster, die dabei entwickelt wurden, vermischen sich mit traditionellen und sie prägen aber auch immer noch unser gegenwärtiges Türkenbild, das ebenfalls von Nichtverstehenwollen, Ablehnung und Geringschätzung bis Verachtung bestimmt ist.&nbsp;<o:p></o:p></span></p></p> Das Bild des Anderen: Die Darstellung Europas und seiner Geschichte in arabischen Geschichtsbüchern 2010-03-27T16:07:29Z 2010-03-27T16:07:29Z http://www.historikertag.de/Berlin2010/index.php/wissenschaftliches-programm/sektionsuebersicht/details/429 Title: Das Bild des Anderen: Die Darstellung Europas und seiner Geschichte in arabischen Geschichtsbüchern<br />Venue: Geschichtsdidaktik / <br />Category: Kulturen im Konflikt? Zur Begegnung von Orient und Okzident<br />Date: 29.09.2010<br />Time: 15.15 h - 18.00 h<br />Description: <p style="text-align: left; " mce_style="text-align: left; "><b>Das Bild des Anderen: Die Darstellung Europas und seiner Geschichte in arabischen Geschichtsbüchern</b></p><p style="text-align: left; " mce_style="text-align: left; ">Referent/in: Wolfram Reiss, Wien</p><p style="text-align: left; " mce_style="text-align: left; "><br /></p><p style="text-align: left; " mce_style="text-align: left; "> </p><p class="MsoNormal"><o:p><b>Abstract&nbsp;</b></o:p></p> <p class="MsoNormal"><span lang="DE-AT" style="mso-ansi-language:DE-AT" mce_style="mso-ansi-language:DE-AT">Der Vortrag basiert auf einer detaillierten Analyse der Schulbücher für Sozialkunde und Geschichte in mehreren Ländern des Nahen Ostens. Im ersten Teil des Vortrags wird zunächst ein genauerer Einblick gegeben in die Darstellung Europas in <i style="mso-bidi-font-style:normal" mce_style="mso-bidi-font-style:normal">ägyptischen</i> Schulbüchern.</span></p><p class="MsoNormal"><span lang="DE-AT" style="mso-ansi-language:DE-AT" mce_style="mso-ansi-language:DE-AT"></span>Hier wird der Westen vornehmlich als aggressiver Feind der islamischen Kultur dargestellt. Europa kommt vor allem als militärischer und wirtschaftlicher Gegner in den Blick a) bei der Schilderung der Eroberungszüge in der Frühzeit des Islam b) bei der Schilderung der Kreuzfahrerzeit, die sehr ausführlich abgehandelt wird und bei der die blutige Eroberung Jerusalems der unblutigen muslimischen Rückeroberung gegenübergestellt wird, c) bei der Schilderung der Kolonialzeit und der Kämpfe um die Unabhängigkeit. Die Kolonialzeit schließt lückenlos an die Kreuzfahrerzeit an und wird als direkte Fortsetzung der Kreuzzüge mit anderen Mitteln angesehen: Was die Kreuzfahrer militärisch nicht erreichen konnten, versuchen die „modernen Kreuzfahrer“ nun auf dem Umweg über den Wirtschaftskrieg.</p><p class="MsoNormal">Kolonialismus und Ausbeutung werden so zu einer rein westlich-christlichen Angelegenheit, während der Kolonialismus und die Ausbeutung von Ländern durch Araber, Mamelucken und Osmanen verschwiegen werden. Das christliche Abendland wird als nicht religiös geprägt und als die kulturell niedriger stehende Kultur beschrieben, die nur aufgrund der Begegnung mit dem Islam in der Renaissance einen Aufschwung nahm. Deshalb ist es Hauptaufgabe des Staates und jedes Bürgers, sich gegen die Bedrohung von außen zu wehren.</p><p class="MsoNormal">Dass Europa seit dem 19. Jh. auf den Nahen Osten auch einen starken kulturellen Einfluss nahm, dass Europäer maßgeblich zum geistigen, kulturellen, wirtschaftlichen und religiösen Erwachen Ägyptens einen Beitrag leisteten, wird nicht thematisiert. Formen der Zusammenarbeit, die es auf vielen Ebenen mit Europa heute gibt, werden nirgendwo erwähnt. Geschichtliche Entwicklungen in Europa zwischen dem 12. und dem 19. Jh. sind nicht Gegenstand der Geschichtsbücher. Insoweit wird von Europa ein sehr verzerrtes Bild gezeichnet, das den gegenwärtigen Beziehungen nicht entspricht.</p><p class="MsoNormal">Im zweiten Teil des Vortrags werden Vergleiche zur Darstellung Europas in anderen Ländern gezogen. Auffällig ist z. B., dass in den neuen Schulbüchern von <i style="mso-bidi-font-style:normal" mce_style="mso-bidi-font-style:normal">Palästina</i> die Kreuzzüge nicht als religiöse Kriege geschildert werden und dass ihnen bei weitem nicht eine solch zentrale Bedeutung zugemessen wird wie in Ägypten. Zudem wird großer Wert auf die Erziehung zur Toleranz aller Religionen und Kulturen gelegt. Hier ist also kein pauschales Feindbild gegenüber Europa festzustellen.</p><p class="MsoNormal">In Geschichtsbüchern in <i style="mso-bidi-font-style: normal" mce_style="mso-bidi-font-style: normal">Syrien</i> gibt es hingegen ähnlich wie in Ägypten eine starke Tendenz zur Polarisierung und Polemik. Die militärischen und ökonomischen Auseinandersetzungen in der Antike, im Mittelalter und in der Kolonialzeit werden betont. Der zentrale Feind ist jedoch nicht der Westen bzw. die europäische Mächte, sondern es sind die „Hebräer“ zur Zeit Kanaans, die Zionisten, die Juden und der gegenwärtige Staat Israel, die als Feinde der arabisch-islamischen Welt gekennzeichnet werden und die mit den Kreuzfahrern gleichgesetzt werden. In einigen Kapiteln werden grundlegende sachliche Informationen über geschichtliche Entwicklungen in Europa und auch einige Informationen über Orientalische Christen gegeben.</p><p class="MsoNormal">In den Geschichtsbüchern im <i style="mso-bidi-font-style:normal" mce_style="mso-bidi-font-style:normal">Libanon</i> streitet man über die Geschichtsdarstellung in den Schulbüchern seit vielen Jahren. Jede ethnisch-religiöse Gruppe produziert ihre eigenen Geschichtsbücher. Der Versuch einer gemeinsamen Darstellung der Geschichte in einem vereinigten nationalen libanesischen Curriculum ist bisher gescheitert.</p><p class="MsoNormal">In den Geschichtsschulbüchern <i style="mso-bidi-font-style:normal" mce_style="mso-bidi-font-style:normal">Algeriens</i> gibt es eine sehr starke Polemik gegen die Kolonialmächte Frankreich und Spanien, die sogar die Polemik in Ägypten übertrifft, andererseits stehen dazu in starkem Gegensatz die sachlichen Informationen über die Refor-mationsbewegung in Europa im Geschichtsbuch der 9. Klasse. Hier werden nüchtern und de-tailliert die religiösen Motive und Biographien von Luther und Calvin beschrieben und die historischen Entwicklungen nachgezeichnet, die zur Gründung der Anglikanischen Kirche führten. Diese Kapitel sind frei von jeglicher Polemik. Als Erzfeinde des Islam werden also in Algerien nicht verallgemeinernd alle europäischen Mächte gesehen, sondern nur die beiden Kolonialmächte Spanien und Frankreich, die eng mit der Römisch-Katholischen Kirche ko-operiert hätten bei ihrer Expansion und Unterdrückung. Gegenüber Nordeuropa und dem e-vangelischen Christentum verschiedener Richtungen scheinen solche Vorbehalte und Stereo-typen nicht vorhanden zu sein.</p><p class="MsoNormal">Bei diesen Vergleichen von Geschichtsbüchern im Nahen Osten fällt auf, dass die Darstellung Europas in der islamisch-arabischen Welt nicht einheitlich ist und dass sich in den Geschichtsbüchern die jeweilige nationale Agenda widerspiegelt.</p><p class="MsoNormal">Am Ende des Vortrags wird kurz auf den Inhalt einer Empfehlung der Arabischen Liga und der UNESCO zur Darstellung Europas in arabischen Schulbüchern und zur Darstellung der islamischen Geschcihte und Kultur in europäischen Schulbüchern hingewiesen.</p><p></p> Title: Das Bild des Anderen: Die Darstellung Europas und seiner Geschichte in arabischen Geschichtsbüchern<br />Venue: Geschichtsdidaktik / <br />Category: Kulturen im Konflikt? Zur Begegnung von Orient und Okzident<br />Date: 29.09.2010<br />Time: 15.15 h - 18.00 h<br />Description: <p style="text-align: left; " mce_style="text-align: left; "><b>Das Bild des Anderen: Die Darstellung Europas und seiner Geschichte in arabischen Geschichtsbüchern</b></p><p style="text-align: left; " mce_style="text-align: left; ">Referent/in: Wolfram Reiss, Wien</p><p style="text-align: left; " mce_style="text-align: left; "><br /></p><p style="text-align: left; " mce_style="text-align: left; "> </p><p class="MsoNormal"><o:p><b>Abstract&nbsp;</b></o:p></p> <p class="MsoNormal"><span lang="DE-AT" style="mso-ansi-language:DE-AT" mce_style="mso-ansi-language:DE-AT">Der Vortrag basiert auf einer detaillierten Analyse der Schulbücher für Sozialkunde und Geschichte in mehreren Ländern des Nahen Ostens. Im ersten Teil des Vortrags wird zunächst ein genauerer Einblick gegeben in die Darstellung Europas in <i style="mso-bidi-font-style:normal" mce_style="mso-bidi-font-style:normal">ägyptischen</i> Schulbüchern.</span></p><p class="MsoNormal"><span lang="DE-AT" style="mso-ansi-language:DE-AT" mce_style="mso-ansi-language:DE-AT"></span>Hier wird der Westen vornehmlich als aggressiver Feind der islamischen Kultur dargestellt. Europa kommt vor allem als militärischer und wirtschaftlicher Gegner in den Blick a) bei der Schilderung der Eroberungszüge in der Frühzeit des Islam b) bei der Schilderung der Kreuzfahrerzeit, die sehr ausführlich abgehandelt wird und bei der die blutige Eroberung Jerusalems der unblutigen muslimischen Rückeroberung gegenübergestellt wird, c) bei der Schilderung der Kolonialzeit und der Kämpfe um die Unabhängigkeit. Die Kolonialzeit schließt lückenlos an die Kreuzfahrerzeit an und wird als direkte Fortsetzung der Kreuzzüge mit anderen Mitteln angesehen: Was die Kreuzfahrer militärisch nicht erreichen konnten, versuchen die „modernen Kreuzfahrer“ nun auf dem Umweg über den Wirtschaftskrieg.</p><p class="MsoNormal">Kolonialismus und Ausbeutung werden so zu einer rein westlich-christlichen Angelegenheit, während der Kolonialismus und die Ausbeutung von Ländern durch Araber, Mamelucken und Osmanen verschwiegen werden. Das christliche Abendland wird als nicht religiös geprägt und als die kulturell niedriger stehende Kultur beschrieben, die nur aufgrund der Begegnung mit dem Islam in der Renaissance einen Aufschwung nahm. Deshalb ist es Hauptaufgabe des Staates und jedes Bürgers, sich gegen die Bedrohung von außen zu wehren.</p><p class="MsoNormal">Dass Europa seit dem 19. Jh. auf den Nahen Osten auch einen starken kulturellen Einfluss nahm, dass Europäer maßgeblich zum geistigen, kulturellen, wirtschaftlichen und religiösen Erwachen Ägyptens einen Beitrag leisteten, wird nicht thematisiert. Formen der Zusammenarbeit, die es auf vielen Ebenen mit Europa heute gibt, werden nirgendwo erwähnt. Geschichtliche Entwicklungen in Europa zwischen dem 12. und dem 19. Jh. sind nicht Gegenstand der Geschichtsbücher. Insoweit wird von Europa ein sehr verzerrtes Bild gezeichnet, das den gegenwärtigen Beziehungen nicht entspricht.</p><p class="MsoNormal">Im zweiten Teil des Vortrags werden Vergleiche zur Darstellung Europas in anderen Ländern gezogen. Auffällig ist z. B., dass in den neuen Schulbüchern von <i style="mso-bidi-font-style:normal" mce_style="mso-bidi-font-style:normal">Palästina</i> die Kreuzzüge nicht als religiöse Kriege geschildert werden und dass ihnen bei weitem nicht eine solch zentrale Bedeutung zugemessen wird wie in Ägypten. Zudem wird großer Wert auf die Erziehung zur Toleranz aller Religionen und Kulturen gelegt. Hier ist also kein pauschales Feindbild gegenüber Europa festzustellen.</p><p class="MsoNormal">In Geschichtsbüchern in <i style="mso-bidi-font-style: normal" mce_style="mso-bidi-font-style: normal">Syrien</i> gibt es hingegen ähnlich wie in Ägypten eine starke Tendenz zur Polarisierung und Polemik. Die militärischen und ökonomischen Auseinandersetzungen in der Antike, im Mittelalter und in der Kolonialzeit werden betont. Der zentrale Feind ist jedoch nicht der Westen bzw. die europäische Mächte, sondern es sind die „Hebräer“ zur Zeit Kanaans, die Zionisten, die Juden und der gegenwärtige Staat Israel, die als Feinde der arabisch-islamischen Welt gekennzeichnet werden und die mit den Kreuzfahrern gleichgesetzt werden. In einigen Kapiteln werden grundlegende sachliche Informationen über geschichtliche Entwicklungen in Europa und auch einige Informationen über Orientalische Christen gegeben.</p><p class="MsoNormal">In den Geschichtsbüchern im <i style="mso-bidi-font-style:normal" mce_style="mso-bidi-font-style:normal">Libanon</i> streitet man über die Geschichtsdarstellung in den Schulbüchern seit vielen Jahren. Jede ethnisch-religiöse Gruppe produziert ihre eigenen Geschichtsbücher. Der Versuch einer gemeinsamen Darstellung der Geschichte in einem vereinigten nationalen libanesischen Curriculum ist bisher gescheitert.</p><p class="MsoNormal">In den Geschichtsschulbüchern <i style="mso-bidi-font-style:normal" mce_style="mso-bidi-font-style:normal">Algeriens</i> gibt es eine sehr starke Polemik gegen die Kolonialmächte Frankreich und Spanien, die sogar die Polemik in Ägypten übertrifft, andererseits stehen dazu in starkem Gegensatz die sachlichen Informationen über die Refor-mationsbewegung in Europa im Geschichtsbuch der 9. Klasse. Hier werden nüchtern und de-tailliert die religiösen Motive und Biographien von Luther und Calvin beschrieben und die historischen Entwicklungen nachgezeichnet, die zur Gründung der Anglikanischen Kirche führten. Diese Kapitel sind frei von jeglicher Polemik. Als Erzfeinde des Islam werden also in Algerien nicht verallgemeinernd alle europäischen Mächte gesehen, sondern nur die beiden Kolonialmächte Spanien und Frankreich, die eng mit der Römisch-Katholischen Kirche ko-operiert hätten bei ihrer Expansion und Unterdrückung. Gegenüber Nordeuropa und dem e-vangelischen Christentum verschiedener Richtungen scheinen solche Vorbehalte und Stereo-typen nicht vorhanden zu sein.</p><p class="MsoNormal">Bei diesen Vergleichen von Geschichtsbüchern im Nahen Osten fällt auf, dass die Darstellung Europas in der islamisch-arabischen Welt nicht einheitlich ist und dass sich in den Geschichtsbüchern die jeweilige nationale Agenda widerspiegelt.</p><p class="MsoNormal">Am Ende des Vortrags wird kurz auf den Inhalt einer Empfehlung der Arabischen Liga und der UNESCO zur Darstellung Europas in arabischen Schulbüchern und zur Darstellung der islamischen Geschcihte und Kultur in europäischen Schulbüchern hingewiesen.</p><p></p> Heilige Kriege? Heilige Kriege im alten Israel, Kreuzzugsgedanke in Mittelalter und Gegenwart 2010-03-27T16:09:28Z 2010-03-27T16:09:28Z http://www.historikertag.de/Berlin2010/index.php/wissenschaftliches-programm/sektionsuebersicht/details/430 Title: Heilige Kriege? Heilige Kriege im alten Israel, Kreuzzugsgedanke in Mittelalter und Gegenwart<br />Venue: Geschichtsdidaktik / <br />Category: Kulturen im Konflikt? Zur Begegnung von Orient und Okzident<br />Date: 29.09.2010<br />Time: 15.15 h - 18.00 h<br />Description: <p style="text-align: left; "><b>Heilige Kriege? Heilige Kriege im alten Israel, Kreuzzugsgedanke in Mittelalter und Gegenwart, Wandel des Dschihad</b></p><p style="text-align: left; ">Referent/in: Gisbert Gemein, Neuss</p><p style="text-align: left; "><br /></p><p style="text-align: left; "><b>Abstract</b></p><p style="text-align: left; "><p class="MsoNormal">„Jahwe ist ein gewaltiger Held, ein Kriegsheld“ (Ps 24,8). Aus diesem und ähnlichen Zitaten zog Gerhard von Rad den Begriff des Heiligen Krieges im alten Israel.<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>Die damalige Begeisterung über diese These ist inzwischen einer nüchternen Betrachtung gewichen: Die von Rad als spezifisch altisraeliktisch behaupteten<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>Elemente der Kriegsführung lassen sich auch in anderen altorientalischen Kriegsüberlieferungen nachweisen. Die Vorstellung, dass Götter überr Sieg und Niederlage entscheiden, ist<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>geradezu ein Topos für die gesamte Antike. Doch die Makkabäerkriege bringen eine neue Qualität hinsichtlich des Begriffes „heiliger Krieg“, weil sie aus der wahrscheinlich ersten Rel.igionsverfolgung hervorgingen. Neu ist hier die systematische Religionsverfolgung, weil diese vom Grundsatz her in einer polytheistischen Welt her nicht denkbar ist, die sich eher durch Toleranz auszeichnet. Die Heftigkeit und Unbarmherzigkeit dieser Auseinandersetzung bieten ebenso wie die Reaktion der Betroffenen eine neue Qualität. Es ging nicht nur um die Integration der Juden in die hellenistische Welt, es ging in letzter Konsequenz um deren Identität als einziger Gesellschaft mit einem monotheistischen Glauben.</p> <p class="MsoNormal">Eine vergleichbare Ausgangslage bot auch der Aufstand unter Bar Kochba als Reaktion auf die Helleninsierungspolitik Hadrians, mehr als der Große Aufstand von 66-70 n.Chr., der auch andere Ursachen hatte. Religion ist Hauptursache, nicht nur Anlass, zusätzlicher Faktor oder Vorwand eines Konflikts. Dieses Phänomen scheint mit dem Monotheismus verbunden, denn es ist später nicht nur im Judentum zu finden, sondern auch im Islam und Christentum.</p> <p class="MsoNormal">Das Christentum versteht sich als Friedensreligion, die nicht nur den Nächsten, sondern sogar den Feind zu lieben fordert. Dies stellt den Staatsbürger, der sein Land verteidigen soll, vor grundsätzliche Entscheidungen. Für die frühchrsitlichen Kirchenväter war die Antwort eindeutig: Krieg war Massenmord. Doch nach Konstantin stellte sich die Frage neu. Im Gegensatz zur Ostkirche, die durchgängig eine rigorosere, ablehnendere Haltung einnahm, hatte in der Westkirche Augustinus eingeräumt, dass unter bestimmten Umständen auf Befehl Gottes Kriege geführt werden können. Den nach der Völkerwanderungszeit im Westen entstandenen aristokratischen Militärgesellschaften bot dies die Möglichkeit, ihrem „gewohnten Zeitvertreib“ (Runciman) nachzugehen.</p> <p class="MsoNormal">Als Papst Urban II. 1095 zum Kreuzzug aufrief, war dies der Auftakt einer neuen Epoche, deren Definition wie auch zeitliche Begrenzung bis heute strittig ist. Für den 1. Kreuzzug hat sich heute der Begriff „bewaffnete Pilgerschaft“ eingebürgert. Er beschreibt aber bestenfalls die Hauptintentionen der Mehrheit seiner Teilnehmer, wird deren Komplexität und Vielfältigkeit aber kaum gerecht. Einer frühere Geschichtsschreibung hat die religiöse Begeisterung hervorgehoben, ein „Heldenlied der Kreuzzüge“ (Grousset) gezeichnet, eine jüngere die materiellen Interessen hervorgehoben. Schon im Mittelalter wandelt sich der Kreuzzugsbegriff. Unter Kreuzzug werden nicht nur Unternehmen in den Nahen Osten verstanden, sondern ebenso die Reconquista in Spanien oder die Unterwerfung der Pruzzen durch den Deutschen Orden. Kreuzzüge richten sich gegen ketzerische Albigenser wie gegen christliche Stedinger Bauern, die sich dem Feudalisierungsprozeß nicht unterwerfen wollen. Der Kreuzug von 1204 gegen Konstantinopel hat eindeutig poltische Motive, persönlich-weltliche darf man dem Kreuzzug von Papst Bonifaz VIII. vom November 1297 gegen zwei seiner Kardinäle unterstellen, bei dem es um einen Streit über den Kauf von Grundstücken ging.</p> <p class="MsoNormal">Schon im Mittelalter wandelt sich das Bild des 1. Kreuzzuges zum Mythos. Dies steht im Gegensatz zu einer heutigen Vorstellung, die in den Kreuzzügen brutale und ausbeuterische Kriege gegen einen kulturell überlegenen Gegner sehen. Diese Bewertung hat eine Vorgeschichte, geht auf eine Auffassung zur Zeit der Aufklärung, als sich Voltaire und Hume ablehnend äußerten, die Historiker Gibbon und Robertson ein eher negatives Urteil fällten . Dagegen sind die Äußerungen des 19. Jhd eher verklärend (Chateaubriand, Mark Twain, Disraeli, die Adaption von Torquato Tasso). Eine politische Instrumentalisierung des Kreuzzugsgedankens erfolgte, als in England und Frankreich als Verbündete einer muslimischen Macht, des Osmanischen Reiches, der Krimkrieg als eine Art Kreuzzug zur Rettung der heiligen Stätten dargestellt wurde.<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp;&nbsp;&nbsp; </span></p> <p class="MsoNormal">Diese politische Instrumentalisierung reicht weit ins 20. Jhd. (englischer Dardanellenfeldzug, Francos „Kreuzzug der Befreiung“, Hitler mit dem „Unternehmen Barbarossa“, Eisenhower mit seinem „Crusade to Europe“). Kennzeichnend für den modernen Kreuzzugsbegriff ist der Verlust an Religiosität mit einer teilweisen Überbetonung des Militärischen bzw. ritterlicher Eigenschaften wie dem Opfersinn für übergeordnete Ziele. Dieser säkularisierte Kreuzzugsbegriff kann daher von unterschiedlichen Weltanschauungen wie Demokratie und Faschismus, selbst vom Maoismus genutzt werden.</p> <p class="MsoNormal">Seit der Nachkriegszeit ist ein deutlich verändertes Kreuzzugsbild zu verzeichnen. Heute kommt der Begriff in durchaus friedlichem Gewande daher (als „Kampf gegen Hunger und Armut auf der Welt“) oder hat in der Alltagssprache seine ursprüngliche Bedeutung fast ganz verloren.</p> <p class="MsoNormal">Deutlich stärker wirkt die ursprünglich Kreuzzugsidee allerdings im islamischen Raum, in dem die christliche Besetzung Palästinas tiefe Spuren hinterlassen hat. Schon Abdülhamit II. (1876-1909) hatte die Politik der europäischen Mächte als „neue Kreuzzüge“ gekennzeichnet. Durchgängig wird bis heute Saladin als erfolgreicher Kämpfer gegen den Westen dargestellt, in der Regel mit der Aufforderung, es ihm gleich zu tun, wobei wider alle historische Logik Israel als Nachfahre der christlichen Kreuzzfahrerstaaten bezeichnet wird. Auffällig ist, dass der Kreuzzugsbegriff heute im politischen Bereich hauptsächlich von fundamentalistischer Seite benutzt wird. Dies gilt sowohl für die islamistische Seite, die die Haltung des Westens generell als Kreuzzüglertum diffamiert wie auch z.B. für Aktivitäten der rechtsradikalen Militia in<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>einzelnen Staaten der USA.</p> <p class="MsoNormal">Einen nicht so weiten Bedeutungswandel hat der Dschihad-Begriff in der Geschichte gemacht. Er hatte allerdings von Anfang an ein Doppelgesicht, schon im Koran, wo er im friedlichen wie im kriegerischen Sinne einherkommt. Das Wort bedeutet im Arabischen „Anstrengung, Mühe (für die Sache Gottes)“, die im Westen übliche Übersetzung mit „heiliger Krieg“ ist daher philololgisch falsch und kann den Dialog mit Muslimen stören, die ihre Religion ebenfalls als eine Friedensreligion ansehen, allerdings Krieg als eine gegebene Sache ansehen, die aber bestimmten Regeln<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>unterworfen sein muss. Schon seit der Frühzeit wird zwischen einem „Großen Dschihad“, der zur Überwindung der eigenen schlechten Eigenschaften gekämpft wird, und einem“Kleinen Dschihad“ , der auch als ein bewaffneter Heidenkampf oder zur Verteidigung der muslimischen Glaubensgemeinschaft ausgefochten werden<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>kann, unterschieden. Wenn heutige NRW-Richtlinien für das Fach „Islamische Unterweisung“ für 4. Grundschulklassen<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>den Dschihad fordern, meinen sie selbstverständlich den Großen, ähnlich wie die syrischen Religionsbücher in ihm „Arbeitseifer“ verlangen oder Smail Balic „Dschihad als Einsatz für Frieden und Fortschritt“<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>definiert. Wenn in solchen Erklärungen der „Kleine Dschihad“ gar nicht mehr vorkommt, wird dies der historischen Realität nicht gerecht.</p> <p class="MsoNormal">Denn eine politische Instrumentalisierung für kriegerische Auseinandersetzungen hat es immer gegeben, schon zu Zeiten des Propheten in seiner medinensischen Zeit, später im bewaffneten „Heidenkampf“ (nicht gegen Angehörige der „Buchreligionen“), dann seit der Kreuzzzugszeit auch gegen Christen, bald auch gegen muslimische Konkurrenten. Dschihad ist also ein schillernder Begriff. Auch wenn er seit dem Mittelalter mit dem Kreuzzugsbegriff in einem Interdependenzverhältnis steht, wurde er nie wie dieser als ein „proelium sanctum“ verstanden, als ein „heiliger Krieg“, zu dem der Papst wenn auch nicht faktisch, so doch rechtlich bindend aufrufen konnte, während im Dschihad immer die Entscheidung des Einzelnen im Vordergrund stand. Erst auf der Islamischen Gipfelkonferenz von Taif 1981 wird erstmals die Adjektivverbindung „heiliger Dschihad“ benutzt.</p> <p class="MsoNormal">Für die klassische muslimische Theologie gehört der Dschihad nicht zum Kernbereich des Glaubens, der durch die 5 Pfeiler gekennzeichnet wird. Was für die übergroße Mehrheit der Muslime, die den Großen Dschihad kämpft, gilt, gilt allerdings nicht für den Islamismus, keine religiöse, sondern eine religiös begründete politische Bewegung, die eine Umkehrung der bisherigen Theologie verursachte. Der indo-pakistanische Denker Maududi sprach vom Dschihad als „vernachlässigter Pflicht“, notwendig als Vorbereitung zur Erfüllung der 5 Pfeiler des Islam. Während bei Maududi Dschihad in bewaffneter wie unbedwaffneter Form durchgeführt werden kann, so dass auch Alte oder Frauern an ihm teilhaben können, ist bei dem Ägypter Qutb eine Militarisierung zu verzeichnen. Beiden gemeinsam ist eine Umkehrung der bisherigen Theologie. Es ist daher nur ein kleiner Schritt zu den modernen Dschihadisten, die den<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>Dschihad nur als einzige Lebensform gelten lassen.</p> <p class="MsoNormal">Während man Maududi und Qutb, für die schiitische Seite Khomeini, noch im weitesten Sinne im Rahmen der traditionellen islamischen Theologie ansehen mag, verläßt diese mit einer regelrechten Umdeutung des Dchihad-Begriffes Omar Abder Rahman (verantwortlich für den ersten Anschlag auf das World Trade Center 1993) in seiner Dissertation, als er die Unterscheidung von Großem und Kleinem Dschihad als verwerfliche Erfindung unter dem Einfluß der Kolonialmächte ablehnte und den Dschihad als militante Aktion lehrte, alle Ungläubigen zur Übernahme des Islam oder zumindest zur Unterwerfung zu bewegen. Diese Ideen wurden nicht nur in der islamistischen Bewegung in Palästina (etwa im „Islamischen Dschihad“) aufgriffen, sie wurden auch weiter ausdifferenziert. Der im arabischen Sender al-Dschazira häufig auftretende „Fertnsehscheich“ al-Qaradawi, ein ägyptischer Muslimbruder, der seine Heimat, nicht mehr betreten darf, rechtfertigt Selbstmordanschläge als höchste Form des Dschihads. 1998 kündigte Bin Laden die Bildung einer Internationalen Islamische Front für einen Dschihad gegen Juden und Kreuzfahrer an. Der Dschihad ist normalerweise an ein bestimmtes Land oder Territorium gebunden. Bin Laden und die anderen Unterzeichner entterritorialisieren den Begriff und weiten ihn auf das gesamte Universum aus, ein klarer Bruch mit der Tradition, für die allerdings Khomeini mit seiner Fatwa gegen Salman Rusdie als Vorbild gelten kann.</p> <p class="MsoNormal" style="text-align: left; ">Man wird den modernen Dschihadismus eher mit Terrorismus als einer religiösen Bewegung gleichsetzen. Seine theologischen Begründungen haben ihn weit von der klassischen islamischen Theologike entfernt. Die geistige Vaterschaft Qutbs ist weiterhin wirksam, wenn auch in verflachter Form. Die Grenzen zum Banditentum sind fließend. Es geht nicht mehr um die Durchsetzung einer religiösen Idee, es geht um den terroristischen Kampf<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>gegen die nicht-islamische Welt, es geht um eine kampfbetonte Lebensform, die im Selbstmordattentat die höchste Form der Vollendung des Menschseins sieht.</p></p> Title: Heilige Kriege? Heilige Kriege im alten Israel, Kreuzzugsgedanke in Mittelalter und Gegenwart<br />Venue: Geschichtsdidaktik / <br />Category: Kulturen im Konflikt? Zur Begegnung von Orient und Okzident<br />Date: 29.09.2010<br />Time: 15.15 h - 18.00 h<br />Description: <p style="text-align: left; "><b>Heilige Kriege? Heilige Kriege im alten Israel, Kreuzzugsgedanke in Mittelalter und Gegenwart, Wandel des Dschihad</b></p><p style="text-align: left; ">Referent/in: Gisbert Gemein, Neuss</p><p style="text-align: left; "><br /></p><p style="text-align: left; "><b>Abstract</b></p><p style="text-align: left; "><p class="MsoNormal">„Jahwe ist ein gewaltiger Held, ein Kriegsheld“ (Ps 24,8). Aus diesem und ähnlichen Zitaten zog Gerhard von Rad den Begriff des Heiligen Krieges im alten Israel.<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>Die damalige Begeisterung über diese These ist inzwischen einer nüchternen Betrachtung gewichen: Die von Rad als spezifisch altisraeliktisch behaupteten<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>Elemente der Kriegsführung lassen sich auch in anderen altorientalischen Kriegsüberlieferungen nachweisen. Die Vorstellung, dass Götter überr Sieg und Niederlage entscheiden, ist<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>geradezu ein Topos für die gesamte Antike. Doch die Makkabäerkriege bringen eine neue Qualität hinsichtlich des Begriffes „heiliger Krieg“, weil sie aus der wahrscheinlich ersten Rel.igionsverfolgung hervorgingen. Neu ist hier die systematische Religionsverfolgung, weil diese vom Grundsatz her in einer polytheistischen Welt her nicht denkbar ist, die sich eher durch Toleranz auszeichnet. Die Heftigkeit und Unbarmherzigkeit dieser Auseinandersetzung bieten ebenso wie die Reaktion der Betroffenen eine neue Qualität. Es ging nicht nur um die Integration der Juden in die hellenistische Welt, es ging in letzter Konsequenz um deren Identität als einziger Gesellschaft mit einem monotheistischen Glauben.</p> <p class="MsoNormal">Eine vergleichbare Ausgangslage bot auch der Aufstand unter Bar Kochba als Reaktion auf die Helleninsierungspolitik Hadrians, mehr als der Große Aufstand von 66-70 n.Chr., der auch andere Ursachen hatte. Religion ist Hauptursache, nicht nur Anlass, zusätzlicher Faktor oder Vorwand eines Konflikts. Dieses Phänomen scheint mit dem Monotheismus verbunden, denn es ist später nicht nur im Judentum zu finden, sondern auch im Islam und Christentum.</p> <p class="MsoNormal">Das Christentum versteht sich als Friedensreligion, die nicht nur den Nächsten, sondern sogar den Feind zu lieben fordert. Dies stellt den Staatsbürger, der sein Land verteidigen soll, vor grundsätzliche Entscheidungen. Für die frühchrsitlichen Kirchenväter war die Antwort eindeutig: Krieg war Massenmord. Doch nach Konstantin stellte sich die Frage neu. Im Gegensatz zur Ostkirche, die durchgängig eine rigorosere, ablehnendere Haltung einnahm, hatte in der Westkirche Augustinus eingeräumt, dass unter bestimmten Umständen auf Befehl Gottes Kriege geführt werden können. Den nach der Völkerwanderungszeit im Westen entstandenen aristokratischen Militärgesellschaften bot dies die Möglichkeit, ihrem „gewohnten Zeitvertreib“ (Runciman) nachzugehen.</p> <p class="MsoNormal">Als Papst Urban II. 1095 zum Kreuzzug aufrief, war dies der Auftakt einer neuen Epoche, deren Definition wie auch zeitliche Begrenzung bis heute strittig ist. Für den 1. Kreuzzug hat sich heute der Begriff „bewaffnete Pilgerschaft“ eingebürgert. Er beschreibt aber bestenfalls die Hauptintentionen der Mehrheit seiner Teilnehmer, wird deren Komplexität und Vielfältigkeit aber kaum gerecht. Einer frühere Geschichtsschreibung hat die religiöse Begeisterung hervorgehoben, ein „Heldenlied der Kreuzzüge“ (Grousset) gezeichnet, eine jüngere die materiellen Interessen hervorgehoben. Schon im Mittelalter wandelt sich der Kreuzzugsbegriff. Unter Kreuzzug werden nicht nur Unternehmen in den Nahen Osten verstanden, sondern ebenso die Reconquista in Spanien oder die Unterwerfung der Pruzzen durch den Deutschen Orden. Kreuzzüge richten sich gegen ketzerische Albigenser wie gegen christliche Stedinger Bauern, die sich dem Feudalisierungsprozeß nicht unterwerfen wollen. Der Kreuzug von 1204 gegen Konstantinopel hat eindeutig poltische Motive, persönlich-weltliche darf man dem Kreuzzug von Papst Bonifaz VIII. vom November 1297 gegen zwei seiner Kardinäle unterstellen, bei dem es um einen Streit über den Kauf von Grundstücken ging.</p> <p class="MsoNormal">Schon im Mittelalter wandelt sich das Bild des 1. Kreuzzuges zum Mythos. Dies steht im Gegensatz zu einer heutigen Vorstellung, die in den Kreuzzügen brutale und ausbeuterische Kriege gegen einen kulturell überlegenen Gegner sehen. Diese Bewertung hat eine Vorgeschichte, geht auf eine Auffassung zur Zeit der Aufklärung, als sich Voltaire und Hume ablehnend äußerten, die Historiker Gibbon und Robertson ein eher negatives Urteil fällten . Dagegen sind die Äußerungen des 19. Jhd eher verklärend (Chateaubriand, Mark Twain, Disraeli, die Adaption von Torquato Tasso). Eine politische Instrumentalisierung des Kreuzzugsgedankens erfolgte, als in England und Frankreich als Verbündete einer muslimischen Macht, des Osmanischen Reiches, der Krimkrieg als eine Art Kreuzzug zur Rettung der heiligen Stätten dargestellt wurde.<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp;&nbsp;&nbsp; </span></p> <p class="MsoNormal">Diese politische Instrumentalisierung reicht weit ins 20. Jhd. (englischer Dardanellenfeldzug, Francos „Kreuzzug der Befreiung“, Hitler mit dem „Unternehmen Barbarossa“, Eisenhower mit seinem „Crusade to Europe“). Kennzeichnend für den modernen Kreuzzugsbegriff ist der Verlust an Religiosität mit einer teilweisen Überbetonung des Militärischen bzw. ritterlicher Eigenschaften wie dem Opfersinn für übergeordnete Ziele. Dieser säkularisierte Kreuzzugsbegriff kann daher von unterschiedlichen Weltanschauungen wie Demokratie und Faschismus, selbst vom Maoismus genutzt werden.</p> <p class="MsoNormal">Seit der Nachkriegszeit ist ein deutlich verändertes Kreuzzugsbild zu verzeichnen. Heute kommt der Begriff in durchaus friedlichem Gewande daher (als „Kampf gegen Hunger und Armut auf der Welt“) oder hat in der Alltagssprache seine ursprüngliche Bedeutung fast ganz verloren.</p> <p class="MsoNormal">Deutlich stärker wirkt die ursprünglich Kreuzzugsidee allerdings im islamischen Raum, in dem die christliche Besetzung Palästinas tiefe Spuren hinterlassen hat. Schon Abdülhamit II. (1876-1909) hatte die Politik der europäischen Mächte als „neue Kreuzzüge“ gekennzeichnet. Durchgängig wird bis heute Saladin als erfolgreicher Kämpfer gegen den Westen dargestellt, in der Regel mit der Aufforderung, es ihm gleich zu tun, wobei wider alle historische Logik Israel als Nachfahre der christlichen Kreuzzfahrerstaaten bezeichnet wird. Auffällig ist, dass der Kreuzzugsbegriff heute im politischen Bereich hauptsächlich von fundamentalistischer Seite benutzt wird. Dies gilt sowohl für die islamistische Seite, die die Haltung des Westens generell als Kreuzzüglertum diffamiert wie auch z.B. für Aktivitäten der rechtsradikalen Militia in<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>einzelnen Staaten der USA.</p> <p class="MsoNormal">Einen nicht so weiten Bedeutungswandel hat der Dschihad-Begriff in der Geschichte gemacht. Er hatte allerdings von Anfang an ein Doppelgesicht, schon im Koran, wo er im friedlichen wie im kriegerischen Sinne einherkommt. Das Wort bedeutet im Arabischen „Anstrengung, Mühe (für die Sache Gottes)“, die im Westen übliche Übersetzung mit „heiliger Krieg“ ist daher philololgisch falsch und kann den Dialog mit Muslimen stören, die ihre Religion ebenfalls als eine Friedensreligion ansehen, allerdings Krieg als eine gegebene Sache ansehen, die aber bestimmten Regeln<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>unterworfen sein muss. Schon seit der Frühzeit wird zwischen einem „Großen Dschihad“, der zur Überwindung der eigenen schlechten Eigenschaften gekämpft wird, und einem“Kleinen Dschihad“ , der auch als ein bewaffneter Heidenkampf oder zur Verteidigung der muslimischen Glaubensgemeinschaft ausgefochten werden<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>kann, unterschieden. Wenn heutige NRW-Richtlinien für das Fach „Islamische Unterweisung“ für 4. Grundschulklassen<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>den Dschihad fordern, meinen sie selbstverständlich den Großen, ähnlich wie die syrischen Religionsbücher in ihm „Arbeitseifer“ verlangen oder Smail Balic „Dschihad als Einsatz für Frieden und Fortschritt“<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>definiert. Wenn in solchen Erklärungen der „Kleine Dschihad“ gar nicht mehr vorkommt, wird dies der historischen Realität nicht gerecht.</p> <p class="MsoNormal">Denn eine politische Instrumentalisierung für kriegerische Auseinandersetzungen hat es immer gegeben, schon zu Zeiten des Propheten in seiner medinensischen Zeit, später im bewaffneten „Heidenkampf“ (nicht gegen Angehörige der „Buchreligionen“), dann seit der Kreuzzzugszeit auch gegen Christen, bald auch gegen muslimische Konkurrenten. Dschihad ist also ein schillernder Begriff. Auch wenn er seit dem Mittelalter mit dem Kreuzzugsbegriff in einem Interdependenzverhältnis steht, wurde er nie wie dieser als ein „proelium sanctum“ verstanden, als ein „heiliger Krieg“, zu dem der Papst wenn auch nicht faktisch, so doch rechtlich bindend aufrufen konnte, während im Dschihad immer die Entscheidung des Einzelnen im Vordergrund stand. Erst auf der Islamischen Gipfelkonferenz von Taif 1981 wird erstmals die Adjektivverbindung „heiliger Dschihad“ benutzt.</p> <p class="MsoNormal">Für die klassische muslimische Theologie gehört der Dschihad nicht zum Kernbereich des Glaubens, der durch die 5 Pfeiler gekennzeichnet wird. Was für die übergroße Mehrheit der Muslime, die den Großen Dschihad kämpft, gilt, gilt allerdings nicht für den Islamismus, keine religiöse, sondern eine religiös begründete politische Bewegung, die eine Umkehrung der bisherigen Theologie verursachte. Der indo-pakistanische Denker Maududi sprach vom Dschihad als „vernachlässigter Pflicht“, notwendig als Vorbereitung zur Erfüllung der 5 Pfeiler des Islam. Während bei Maududi Dschihad in bewaffneter wie unbedwaffneter Form durchgeführt werden kann, so dass auch Alte oder Frauern an ihm teilhaben können, ist bei dem Ägypter Qutb eine Militarisierung zu verzeichnen. Beiden gemeinsam ist eine Umkehrung der bisherigen Theologie. Es ist daher nur ein kleiner Schritt zu den modernen Dschihadisten, die den<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>Dschihad nur als einzige Lebensform gelten lassen.</p> <p class="MsoNormal">Während man Maududi und Qutb, für die schiitische Seite Khomeini, noch im weitesten Sinne im Rahmen der traditionellen islamischen Theologie ansehen mag, verläßt diese mit einer regelrechten Umdeutung des Dchihad-Begriffes Omar Abder Rahman (verantwortlich für den ersten Anschlag auf das World Trade Center 1993) in seiner Dissertation, als er die Unterscheidung von Großem und Kleinem Dschihad als verwerfliche Erfindung unter dem Einfluß der Kolonialmächte ablehnte und den Dschihad als militante Aktion lehrte, alle Ungläubigen zur Übernahme des Islam oder zumindest zur Unterwerfung zu bewegen. Diese Ideen wurden nicht nur in der islamistischen Bewegung in Palästina (etwa im „Islamischen Dschihad“) aufgriffen, sie wurden auch weiter ausdifferenziert. Der im arabischen Sender al-Dschazira häufig auftretende „Fertnsehscheich“ al-Qaradawi, ein ägyptischer Muslimbruder, der seine Heimat, nicht mehr betreten darf, rechtfertigt Selbstmordanschläge als höchste Form des Dschihads. 1998 kündigte Bin Laden die Bildung einer Internationalen Islamische Front für einen Dschihad gegen Juden und Kreuzfahrer an. Der Dschihad ist normalerweise an ein bestimmtes Land oder Territorium gebunden. Bin Laden und die anderen Unterzeichner entterritorialisieren den Begriff und weiten ihn auf das gesamte Universum aus, ein klarer Bruch mit der Tradition, für die allerdings Khomeini mit seiner Fatwa gegen Salman Rusdie als Vorbild gelten kann.</p> <p class="MsoNormal" style="text-align: left; ">Man wird den modernen Dschihadismus eher mit Terrorismus als einer religiösen Bewegung gleichsetzen. Seine theologischen Begründungen haben ihn weit von der klassischen islamischen Theologike entfernt. Die geistige Vaterschaft Qutbs ist weiterhin wirksam, wenn auch in verflachter Form. Die Grenzen zum Banditentum sind fließend. Es geht nicht mehr um die Durchsetzung einer religiösen Idee, es geht um den terroristischen Kampf<span style="mso-spacerun:yes">&nbsp; </span>gegen die nicht-islamische Welt, es geht um eine kampfbetonte Lebensform, die im Selbstmordattentat die höchste Form der Vollendung des Menschseins sieht.</p></p> Kulturbegegnungen im 18. und 19. Jahrhundert 2010-03-27T16:11:43Z 2010-03-27T16:11:43Z http://www.historikertag.de/Berlin2010/index.php/wissenschaftliches-programm/sektionsuebersicht/details/431 Title: Kulturbegegnungen im 18. und 19. Jahrhundert<br />Venue: Geschichtsdidaktik / <br />Category: Kulturen im Konflikt? Zur Begegnung von Orient und Okzident<br />Date: 29.09.2010<br />Time: 15.15 h - 18.00 h<br />Description: <p style="text-align: left; "><b>Kulturbegegnungen im 18. und 19. Jahrhundert</b></p><p style="text-align: left; ">Referent/in: Roland Löffler, Bad Homburg</p><p style="text-align: left; "><br /></p><p style="text-align: left; "><b>Abstract</b></p><p style="text-align: left; "><p class="MsoNormal" style="text-align:justify">Es gehört deshalb zu den interessantesten Entwicklungen der letzten Jahre, dass die Beschäftigung mit den religiösen Phänomenen des 19. und 20. Jahrhunderts im Kontext der Aufwertung der Kulturgeschichte eine unerwartete Renaissance erlebt. Dies gilt vor allem für den Katholizismus, den Protestantismus und das Judentum des Deutschen Kaiserreichs und sogar für die lange Zeit lediglich als Nebenprodukt des Imperialismus behandelte Missionsgeschichte, die von Allgemeinhistorikern, Volkskundlern und Sozialwissenschaftlern aufgrund ihrer Bedeutung für den Kulturtransfer langsam wiederentdeckt wird. Im Kontext des kulturhistorischen Diskurses könnte etwa die religionshistorische Palästina-Forschung zeigen, welche Formen von Kulturkontakt und Kulturkonflikt, welche faszinierenden und komplexen Wechselwirkungen zwischen Peripherie und Zentrum, zwischen Einheimischen und westlichen Siedlern in Palästina existierten.</p> <p class="Formatvorlage1">Auffallend ist allerdings, dass die bisherige religionshistorische Palästina-Forschung ihre Ergebnisse selten in größere theoretisch-historiographische Bezüge eingebettet hat. Der technologische, wissenschaftliche und kirchlich-kulturelle Transfer von Westeuropa nach Palästina durch die christlichen Organisationen wurde bisher oft mit Hilfe eines funktionalen, aber oftmals nicht eingehend reflektierten Modernisierungstheorems analysiert. Die Einbettung in größere transnationale – nicht ausschließlich außenpolitische – Veränderungsprozesse fehlte häufig ebenso wie die Integration in den sozial-, kirchen- oder kulturhistorischen Diskurs. </p> <p class="MsoNormal" style="text-align:justify">Es muß deshalb versucht werden, mit Hilfe der Milieutheorie und der Mentalitätsgeschichte, wie sie von Olaf Blaschke und Frank-Michael Kuhlemann weiterentwickelt wurden, das deutsch-evangelische Palästina-Engagement als ein Segment der Formierungsprozesse des deutschen Protestantismus im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu erklären. Der Mentalitätsgeschichte und der Milieutheorie geht es im Kontext der Kirchengeschichte darum, unausgesprochene oder auch reflektierte theologische, spirituelle, kulturelle und politische (Dis)Positionen sowie die daraus resultierenden Vergemeinschaftungsprozesse nachzuzeichnen. Ich konzentriere mich aufgrund der Komplexität des Sachverhaltes auf den deutschen Protestantismus, der in letzter Zeit verstärkt in den Fokus der Forschung geriet Dazu trug auch die Herausbildung kirchlicher Zweitstrukturen durch den sogenannten Verbandsprotestantismus. Zu diesen kirchennahen und dennoch betont eigenständigen Vereinen zählten Großverbände wie das Gustav-Adolf-Werk, der Evangelische Bund, die Einrichtungen der „Inneren Mission“, aber auch die Missionsgesellschaften, in denen auch das deutsche Palästina-Engagement zu verorten ist. Die Forschung hat die Missionen trotz ihrer Bedeutung für die protestantischen Milieubildungsprozesse bisher vernachlässigt. Mit Hilfe der hier vorgestellten Überlegungen soll dieser Entwicklung entgegengewirkt werden. </p> <p class="MsoNormal" style="text-align:justify">Gerade die Blüte des Verbandsprotestantismus ist ein Indiz dafür, dass sich im Blick auf das 19. Jahrhundert nicht einfach von einer steten Entchristlichung der westlichen Gesellschaften und von einem Niedergang des Protestantismus sprechen lässt. Das Ergebnis ist vielmehr ambivalent. Die Religion befindet sich seit etwa 200 Jahren in einer Relevanzkrise, erlebte im Modernisierungsprozess aber auch Renaissancen, Transformationen, Neubestimmungen ihrer zentralen Glaubensaussagen und ihrer sozialen Formen. Der Säkularisierungsprozess muss deshalb wie der Modernisierungsprozess als janusköpfiges Phänomen verstanden werden. Zu diesem Komplex wird hier auch das dynamische und breitenwirksame protestantische Palästina-Engagement gezählt. Bevor im Folgenden gezeigt wird, dass die Palästina-Missionen einen Beitrag zur Stabilisierung eines an Mission interessierten, religiös wie politisch konservativen, protestantischen Teil-Milieus in Deutschland leisteten, soll zunächst kurz in die Diskussion zu Mentalitätsgeschichte und Milieutheorie eingeführt werden.</p></p> Title: Kulturbegegnungen im 18. und 19. Jahrhundert<br />Venue: Geschichtsdidaktik / <br />Category: Kulturen im Konflikt? Zur Begegnung von Orient und Okzident<br />Date: 29.09.2010<br />Time: 15.15 h - 18.00 h<br />Description: <p style="text-align: left; "><b>Kulturbegegnungen im 18. und 19. Jahrhundert</b></p><p style="text-align: left; ">Referent/in: Roland Löffler, Bad Homburg</p><p style="text-align: left; "><br /></p><p style="text-align: left; "><b>Abstract</b></p><p style="text-align: left; "><p class="MsoNormal" style="text-align:justify">Es gehört deshalb zu den interessantesten Entwicklungen der letzten Jahre, dass die Beschäftigung mit den religiösen Phänomenen des 19. und 20. Jahrhunderts im Kontext der Aufwertung der Kulturgeschichte eine unerwartete Renaissance erlebt. Dies gilt vor allem für den Katholizismus, den Protestantismus und das Judentum des Deutschen Kaiserreichs und sogar für die lange Zeit lediglich als Nebenprodukt des Imperialismus behandelte Missionsgeschichte, die von Allgemeinhistorikern, Volkskundlern und Sozialwissenschaftlern aufgrund ihrer Bedeutung für den Kulturtransfer langsam wiederentdeckt wird. Im Kontext des kulturhistorischen Diskurses könnte etwa die religionshistorische Palästina-Forschung zeigen, welche Formen von Kulturkontakt und Kulturkonflikt, welche faszinierenden und komplexen Wechselwirkungen zwischen Peripherie und Zentrum, zwischen Einheimischen und westlichen Siedlern in Palästina existierten.</p> <p class="Formatvorlage1">Auffallend ist allerdings, dass die bisherige religionshistorische Palästina-Forschung ihre Ergebnisse selten in größere theoretisch-historiographische Bezüge eingebettet hat. Der technologische, wissenschaftliche und kirchlich-kulturelle Transfer von Westeuropa nach Palästina durch die christlichen Organisationen wurde bisher oft mit Hilfe eines funktionalen, aber oftmals nicht eingehend reflektierten Modernisierungstheorems analysiert. Die Einbettung in größere transnationale – nicht ausschließlich außenpolitische – Veränderungsprozesse fehlte häufig ebenso wie die Integration in den sozial-, kirchen- oder kulturhistorischen Diskurs. </p> <p class="MsoNormal" style="text-align:justify">Es muß deshalb versucht werden, mit Hilfe der Milieutheorie und der Mentalitätsgeschichte, wie sie von Olaf Blaschke und Frank-Michael Kuhlemann weiterentwickelt wurden, das deutsch-evangelische Palästina-Engagement als ein Segment der Formierungsprozesse des deutschen Protestantismus im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu erklären. Der Mentalitätsgeschichte und der Milieutheorie geht es im Kontext der Kirchengeschichte darum, unausgesprochene oder auch reflektierte theologische, spirituelle, kulturelle und politische (Dis)Positionen sowie die daraus resultierenden Vergemeinschaftungsprozesse nachzuzeichnen. Ich konzentriere mich aufgrund der Komplexität des Sachverhaltes auf den deutschen Protestantismus, der in letzter Zeit verstärkt in den Fokus der Forschung geriet Dazu trug auch die Herausbildung kirchlicher Zweitstrukturen durch den sogenannten Verbandsprotestantismus. Zu diesen kirchennahen und dennoch betont eigenständigen Vereinen zählten Großverbände wie das Gustav-Adolf-Werk, der Evangelische Bund, die Einrichtungen der „Inneren Mission“, aber auch die Missionsgesellschaften, in denen auch das deutsche Palästina-Engagement zu verorten ist. Die Forschung hat die Missionen trotz ihrer Bedeutung für die protestantischen Milieubildungsprozesse bisher vernachlässigt. Mit Hilfe der hier vorgestellten Überlegungen soll dieser Entwicklung entgegengewirkt werden. </p> <p class="MsoNormal" style="text-align:justify">Gerade die Blüte des Verbandsprotestantismus ist ein Indiz dafür, dass sich im Blick auf das 19. Jahrhundert nicht einfach von einer steten Entchristlichung der westlichen Gesellschaften und von einem Niedergang des Protestantismus sprechen lässt. Das Ergebnis ist vielmehr ambivalent. Die Religion befindet sich seit etwa 200 Jahren in einer Relevanzkrise, erlebte im Modernisierungsprozess aber auch Renaissancen, Transformationen, Neubestimmungen ihrer zentralen Glaubensaussagen und ihrer sozialen Formen. Der Säkularisierungsprozess muss deshalb wie der Modernisierungsprozess als janusköpfiges Phänomen verstanden werden. Zu diesem Komplex wird hier auch das dynamische und breitenwirksame protestantische Palästina-Engagement gezählt. Bevor im Folgenden gezeigt wird, dass die Palästina-Missionen einen Beitrag zur Stabilisierung eines an Mission interessierten, religiös wie politisch konservativen, protestantischen Teil-Milieus in Deutschland leisteten, soll zunächst kurz in die Diskussion zu Mentalitätsgeschichte und Milieutheorie eingeführt werden.</p></p>