Reisen für alle?

Tourismus ist heutzutage ein Massenphänomen. Pauschalreisen erfreuen sich ebenso großer Beliebtheit wie Individualreisen. Ein jeder kann und darf reisen. Ob alt oder jung, Mann oder Frau, schwarz oder weiß. Das war nicht immer so. Und wenn wir ehrlich sind, gibt es auch im so vermeintlich fortschrittlichen 21. Jahrhundert noch immer Ungleichheiten auf diesem Gebiet. Doch das war nicht das Thema der einzigen Sektion, die sich mit dem Reisewesen und -verhalten „Reisen für alle? Tourismus in den USA und Deutschland im 20. Jahrhundert“ auseinandersetzte.

Die Referenten Foto: jk

Einer chronologischer Aufteilung folgend, machte den Anfang Wiebke Kolbe, die sich den deutschen Seebädern und deren touristische Entwicklung annahm. Während sich ursprünglich nur die Privilegierten und Vermögenden einen Urlaub an der See leisten konnten, so wandelte sich um 1900 dieses Bild. Nun machten auch vermehrt Bürger Urlaub am Strand. Der Strandurlaub, wie wir ihn heute kennen, entwickelte sich nach und nach. Dennoch blieben Viele ausgeschlossen. Den Arbeitern wurde kein oder nur geringer Urlaub von drei Tagen im Jahr zugesprochen, während die Beamten und Angestellten einen Jahresurlaub von sieben bis vierzehn Tage erhielten.

Frauen nahmen zwangsläufig ihren Haushalt mit in den Urlaub, d.h. auch an der See mussten sie kochen, waschen oder putzen. Lediglich die Kinder und Väter hatten Zeit, sich am Strand zu aalen. Auch gab es lange getrennte Badeanstalten für Männer und Frauen. Erst mit dem Aufkommen des Familienurlaubes ändert dies sich, und das freie Baden wurde möglich. Ab 1920 ging man nun direkt an den Strand baden. Es wurde sogar „Unisex“- Bademode entwickelt um die Gleichheit zur Schau zu tragen. Schon ab 1890er Jahren ausgeschlossen, aber nach dem 1. Weltkrieg massiv, wurden die Juden. Mit aggressiven Anzeigen und Plakaten machten die Hotels darauf aufmerksam, dass es sich um ein nicht judenfreundliches Establishment handelt. Lediglich die alten traditionellen Seebäder waren bis in die 30er Jahre judenfreundlich. Ab 1936 verschwinden dann auch solche Anzeigen, denn es war allgemein bekannt, dass Juden unerwünscht sind.

Steven Hoelscher aus Texas nähert sich dem Thema Tourismus auf ganz andere Art und Weise an. Er stellt die Stadt Natchez im Bundesstaat Mississippi vor, die maßgeblich für das Bild des glorreichen amerikanischen Süden vor dem Bürgerkrieg, wie ihn ein jeder aus „Vom Winde verweht“ kennt, verantwortlich ist. Große Herrenhäuser mit weißen Säulen umrahmt von saftig grünen Wiesen und ein Duft von Magnolien liegt in der Luft. Hoelscher nennt das “White-Pillared Past” (Weißen-Säulen-Vergangenheit). In den letzten 75 Jahren haben vor allem Frauen dieses Bild geprägt und gefordert. Sie waren so erfolgreich damit, dass Natchez damit nicht nur Tausende von Touristen jährlich anzieht, sondern auch, dass hier das dargestellte Bild als einzige richtige Vergangenheit wahrgenommen wird. Große schöne Plantagenanwesen, kostbare Möbel und weiße Frauen in wallenden Sommerkleidern. Doch niemand berichtet, wer diese großen Plantagen am Laufen hielt, alle anfallenden Arbeiten übernahm… es waren schwarze Sklaven! Erst in den letzten zehn Jahren werden die Stimmen dagegen immer lauter und die Afro-Amerikanische Bevölkerung konnte erste kleine Erfolge erzielen. Der traditionsreiche “Confederate Pageant”, der nicht nur die alte Fahne vor dem Sezessionskrieg benutzt, wurde vor zwei Jahren in “Historic Pageant” umgenannt… die Fahne zeigen sie aber weiterhin.  Der alte Sklavenmarkt, von dem nichts mehr übrig ist, ist wenigstens mit einer Gedenktafel ausgestattet worden. Es sind kleine Erfolge.

In die Luft ging Anke Ortlepp. Sie hielt einen Vortrag über das Fliegen in den USA nach 1945. Dabei sprach sie davon, wie das Fliegen zu Beginn vornehmlich von Geschäftsmännern genutzt wurde und das Auftreten der Airline und die Werbung auch dementsprechend ausgerichtet war. Je sexier die Stewardess, umso größer der Erfolg. Erst mit der Stewardessen-Gewerkschaft und die Entdeckung der Frau als potentiellen Fluggast änderte sich die Berufskleidung der Flugbegleiterinnen von Miniröcken zu seriöser Kleidung. Doch auch bewusste Rassentrennung fand statt. Restaurants an Flughäfen waren für alle offen, die Toiletten aber nur für die weißen Gäste. Getrennte Warteräume waren ebenso an der Tagesordnung wie getrennte Taxistände. Ein Ungleichheit, die bekanntlich erst mit den civil rights abgeschafft wurde.

Diskussionsrunde am Ende der Sektion Foto:jk

Dem chronologischen Aufbau der Sektion folgend kam Christopher Koppers Vortrag über die Entwicklung von Pauschalreisen zum Massenkonsumgut als letzter dran. Er richtet seinen Blick vor allem auf die Nachkriegszeit in Deutschland, in der Pauschalreisen zu Beginn gerade für Singlefrauen oder unverheiratete Paare attraktiv waren, da diese ohne kritischen Blicke des Hotelpersonal verreisen konnten. In den 60er Jahren wurden von englischen und deutschen Reiseveranstaltern Spanien als neues Reiseziel auserkoren. Ihren Katalogen konstruierten sie Spanien als das typische und perfekte Reiseziel für Familien. Pauschalreisen boomten. Und so verwundert es auch nicht, dass das Versandhaus Neckermann bereits 1963 seine Tochter Neckermann Reisen gegründet und bereits mehr Umsatz mit den Pauschalreisen machte als mit dem eigentlichen Versandgeschäft. Getreu dem Motto “Neckermann macht’s möglich.” Kopper sprach auch das Kundenvertrauen als das wichtigste immaterielle Kapital der Reiseveranstalter an.

Während beim letzten Vortrag nicht immer herauskam, wo genau nun die Ungleichheiten liegen, verdeutlichten die ersten drei sehr gut das Thema. Vor allem der Vortrag von Steven Hoelscher, der in der englischer Sprache gehalten hat, war sehr erfrischend.

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