Logo des 49. Historikertags 2012 Ressourcen und Konflikte

49. Deutscher Historikertag 2012: Ressourcen - Konflikte

Recht als umstrittene Ressource. Akteure, Praktiken und Wissensordnungen des Völkerrechts in der Zwischenkriegszeit (1919-1939)

Zeit: 27.09.2012, 11:15 - 13:00
Ort: P 7
Kategorie: Neuere/Neueste Geschichte

Sektionsleiter/in: Kathrin Kollmeier / Marcus M. Payk

- Kurzsektion -

Abstract:
Das 20. Jahrhundert war durch eine Politisierung des Rechts gekennzeichnet, die den Bereich und den Begriffe des Politischen selbst veränderte. Die Entgrenzung von Gewalt in zwei Weltkriegen, die Ausweitung von Bevölkerungspolitiken, die Dynamik von Kolonialismus und Dekolonialisierung sowie zahlreiche weitere Großkonflikte lassen sich aus dieser Sicht einerseits als Entrechtlichung des politischen Handelns und der politischen Räume begreifen. Zugleich zeichnet sich auf der anderen Seite eine wachsende Verrechtlichung ab, indem immer mehr transnationale Normen mit übergreifendem, teils universalem Geltungsanspruch ausgehandelt wurden und mittels internationaler Institutionen durchgesetzt und bewahrt werden sollten. Auch wenn sich diese Entwicklungen erst nach 1945 verstetigten, sind ihre Wurzeln im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts unverkennbar.

Um diese paradoxen Großprozesse genauer zu erfassen, betrachtet die Sektion mit der europäischen Zwischenkriegszeit (1919-1939) einen zentralen Schauplatz und eine Scharnier-Epoche, in welcher der Internationalismus des Völkerrechts auf scharfe nationale Spannungen und Konflikte traf. Die im Rahmen der Friedenskonferenzen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert schrittweise etablierten internationalen Institutionen und Rechtsregime (Schiedsgerichtsbarkeiten, Ständiger Internationaler Gerichtshof, Minderheitenschutz) wurden in diesem Zeitraum nicht nur vielfach erprobt und belastet, sondern vielfach auch als vermeintliche Hüter eines formalen Normativismus ins politische Abseits gedrängt.

Anhand unterschiedlicher Untersuchungsfelder soll in der Sektion aufgezeigt werden, in welchen Konstellationen Völkerrecht zu einer – mitunter einzigen oder entscheidenden – Ressource in politischen Auseinandersetzungen wurde. Wie, für wen und zu welchen Bedingungen waren völkerrechtliche Ressourcen zugänglich, und mit welchen Konflikten und Konsequenzen war der Zugriff auf sie verbunden? Durch welche politischen, sozialen, wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wurde die Berufung auf – positivrechtliche oder auch naturrechtliche – Normen begünstigt oder erschwert? Inwieweit kam dem Gebrauch rechtlicher Argumente eine politische Qualität zu, und wie erfolgreich waren Bemühungen, originär politische Konflikte durch eine juristische oder normative Argumentation zu unterlaufen oder stillzulegen? Indem die Sektion mit diesem Fragenkatalog vor allem internationale Normen der europäischen Zwischenkriegszeit thematisiert, soll zugleich die nationalstaatliche Verengung der etablierten Rechtsgeschichte überwunden werden.

Die drei, jeweils auf laufenden oder jüngst abgeschlossenen Forschungsvorhaben basierenden Vorträge analysieren daher (1.) die Bedeutung, die juristische Normen in bestimmten politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bezügen erhielten oder auch verloren. Die Sektion geht damit über eine Disziplingeschichte des Völkerrechts hinaus und zeigt auf, wie sehr die wissenschaftliche Entwicklung des Völkerrechts in politische Großwetterlagen eingebunden war und Konjunkturen in der öffentlichen Erwartung unterlag. Die Sektion legt (2.) ein besonderes Gewicht auf die komplexen Wechselwirkungen zwischen den nationalen und internationalen Ebenen. Gerade mit der Gründung des Völkerbundes 1920 trat die Konkurrenz normativer Ordnungen zwischen Nationalisierung und Internationalisierung in eine neue Phase ein. Schließlich wird (3.) geprüft, inwiefern Prozesse einer Politisierung des Rechts und einer Verrechtlichung der Politik als charakteristische Phänomene dieser Etappe des 20. Jahrhunderts gelten können und inwieweit zugleich gegenläufige Impulse der Entpolitisierung und Entrechtlichung zu beobachten sind.

Mit dieser dreifachen Problemstellung möchte die Sektion dazu beitragen, Recht in seiner politischen Relevanz für das 20. Jahrhundert historisch auszuleuchten. Sie schließt an solche neueren Forschungsentwicklungen an, die alternative und erweiterte Zugänge zur Geschichte von Rechten und Normen, von juristischen Regelungen, Präskriptionen und Ordnungen jenseits der disziplinären Rechtsgeschichte erproben. Vor dem Hintergrund der methodischen und theoretischen Innovationen der letzten Jahrzehnte wird eine Geschichte des Rechts angestrebt, die über eine introvertierte Dogmengeschichte ebenso hinausgeht wie über eine Reduktion des Rechts auf seine politische, ideologische oder sonstige Funktionalität. Die vorgeschlagene Sektion will diese konzeptionelle Neufassung exemplarisch durch einen Zugriff sichtbar machen, der Recht als eine politisch umkämpfte Ressource der Zwischenkriegszeit begreift.


Moderation: Julia Angster (Kassel)

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