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49. Deutscher Historikertag 2012: Ressourcen - Konflikte

Macht und Gegenmacht im Konfliktraum der Volksrepublik Polen: Kulturelle Ressourcen für Formen des politischen Widerstands

Zeit: 28.09.2012, 15:15 - 18:00
Ort: P 5
Kategorie: Neuere/Neueste Geschichte

Sektionsleiter/in: Bianka Pietrow-Ennker

Abstract:
Die Gegenmacht gegen das sozialistische Regime in der Volksrepublik Polen, das durch die Sowjetunion mit unterschiedlichen Strategien hegemonialer Machtausübung gestützt wurde, war schließlich so stark, dass es als erstes im Osten Europas am Ende der 1980er Jahre überwunden und ein Strukturwandel eingeleitet wurde. Es ist ereignisgeschichtlich gut erforscht, dass Gewaltformen unterschiedlicher Art bis hin zur Verhängung des Kriegsrechtes die wachsende Bewegung der Regimekritiker nicht in die Schranken weisen konnten. Nicht hinreichend sind jedoch die kulturellen Ressourcen erforscht, die die Formierung von Oppositionsbewegungen möglich machten. Traditionsbewusstsein und Nationalismus werden weithin in diesem Prozess als gegebene Konstanten vorausgesetzt. Demgegenüber soll die Sektion neue Erkenntnisse darüber erbringen, 1.) welcher Art die kulturellen Ressourcen im Einzelnen waren, 2.) durch welche Symbolvorräte Angebote für die Bildung kollektiver Identität entstanden, 3.) welche sozialen Gruppen Zugang zu diesen kulturellen Ressourcen fanden und 4.) welche subversiven Praktiken sich in welchen Räumen (regional, national, transnational) daraus ergaben.

Die Bestimmung dessen, was als kulturelle Ressource galt, soll in zeitgenössischen Diskursen ebenso ermittelt werden wie die Konstruktion von Strategien der Gegenmacht. Deren diskursive Entwicklung lässt sich differenzieren nach den Varianten von Eigen-Sinn, widerständiger Abgrenzung, Konstruktion von Gegenstrategien und oppositionellen Praktiken.

Diese Abstufung spiegelt sich auch im Aufbau der Sektion wider: Erstens wird Eigen-Sinn am Beispiel des polnischen Jazz als kultureller Ressource behandelt. In keinem anderen Land Nachkriegseuropas hatte der Jazz eine solche Breitenwirkung wie in der Volksrepublik Polen. In Jazz-Clubs und auf Festivals begab man sich in eine Gegenwelt, in der die Regeln von Partei und Staat ihre Geltung verloren. "Polski Jazz" wurde zu einer Chiffre für ein selbstbestimmtes Leben. Bedeutungsebenen und Wirkungsweisen des polnischen Jazz als Ressource einer Gegenkultur werden in diesem Beitrag nachgezeichnet. Zweitens wird widerständige Abgrenzung auf die Erinnerungskultur bezogen. Polen und die Sowjetunion hatten sich nach 1945 auf symbolischer Ebene durch eine konstruierte gemeinsame Erinnerung verbunden, die den Antifaschismus zum wesentlichen Inhalt hatte. Inhalte antisowjetischer gesellschaftlicher Erinnerung wurden verdrängt bzw. aus dem Land ins Exil gedrängt. In „Räumen der Gegenerinnerungen“ soll thematisiert werden, welche nichtoffiziellen Narrative zu welchen Zeiten und an welchen Orten kommuniziert wurden und welche Arten von Erinnerungsgemeinschaften sie konstituierten. Drittens wird die Konstruktion von Gegenstrategien am Beispiel des nationalen und transnationalen Untergrunddiskurses behandelt. Dabei steht Kultur als Ressource von Oppositionspolitik im Zentrum der Analyse. Eine 1988 in Nowa Huta abgehaltenen internationalen Menschenrechtskonferenz wird untersucht, auf der sich die wichtigsten Elemente oppositioneller Gegenstrategien verdichteten. Es lässt sich zeigen, dass kollektiv verwandte Semantiken für sozialen Protest zentrale Bedeutung haben. Indem sie eine bestimmte Interpretation politischer oder sozialer Probleme nahe legen, ermöglichen sie die Konstruktion kollektiver Identität und konstituieren damit soziale Protestbewegungen. Viertens werden oppositionelle Praktiken am Beispiel der katholischen Kirche in Polen und der religiösen Solidarität veranschaulicht, die dem Wertekanon der „proletarischen Solidarität“ sozialistischer Gesellschaften diametral entgegenstanden, wie sie die Polnische Vereinigten Arbeiterpartei maßgeblich vertrat. Hierbei soll auch gezeigt werden, welche zeitliche Entwicklung die kirchliche Gegenbewegung durchlief und in welchen Formen und Dimensionen sie auftrat.

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