Logo des 49. Historikertags 2012 Ressourcen und Konflikte

49. Deutscher Historikertag 2012: Ressourcen - Konflikte

Vor der Frist. Wie lässt sich gegenwartsnahe Zeitgeschichte erforschen?

Referent/in: Edgar Wolfrum

Abstract:
Die Historisierung der bundesrepublikanischen Vergangenheit schreitet voran, die „Berliner Republik“ ist als jüngste Periode der Zeitgeschichte in den Blick der Historiker/innen geraten. Aber: Das Interesse der Bevölkerung wie der Zeitgeschichtsforschung an diesem Abschnitt der deutschen Geschichte, einem wichtigen Orientierungsreservoir für unsere Gegenwart, kollidiert mit unterschiedlichen Sperrfristen für staatlich-behördliche oder personenbezogene Datenbestände. Ohne den hohen Wert der vielfältigen deutschen Archivlandschaft in Frage stellen zu wollen, so birgt diese Situation doch auch große Chancen für die zeithistorische Forschung – jenseits offizieller Fristen.

Die weltweite Verbreitung und Vernetzung audiovisueller Medien, allen voran das Internet, hat dazu beigetragen, das ehedem staatliche Informationsmonopol der Politikgeschichte zu öffnen und zu demokratisieren. Ein hoher Prozentteil der Quellenbestände ist zumindest dem Inhalt nach bereits bekannt. Die neuartige „Quellenflut“ und die Vielfalt der Gattungen, bis hin zur E-Mail, erfordert zugleich eine erhöhte Systematisierungsleistung auf Seiten der Zeitgeschichte: Mehr denn je zuvor gilt es, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, um zu relevanten historischen Erkenntnissen zu gelangen.

Für kulturgeschichtliche Fragestellungen gelten seit langem andere Regeln hinsichtlich der Generierung von Quellen. Aber auch in der Politikgeschichte sollte die Zeitzeugenbefragung, die Oral History, nicht als Last sondern als Grundlage historischer Erkenntnis begriffen werden: Hier erhalten Zeithistoriker/innen nicht selten Auskunft über die Ausrichtung und Auswahlkriterien der späteren Akten oder einen unkomplizierten Zugang zu relevanten Dokumenten aus privaten Sammlungen.

Nicht nur die Kommentarspalten der Feuilletons, auch die Sozialwissenschaften und ihre Nachbardisziplinen leisten durch empirische Untersuchungen und Datensammlungen eine wichtige „Vorarbeit“, auf die die historische Forschung zurückgreifen kann: Hier gilt es für die Zeitgeschichte, die Ergebnisse historisch zu kontextualisieren, entstehende Narrationen kritisch mit anderen Quellenbeständen abzugleichen (s. o., Oral History). Die vielfach kritisierte Nähe zum Gegenstand wird so zum Vorteil gewendet: Das Sichtbarmachen von größeren Zusammenhängen hinter persönlichen Erfahrungen und alltäglichen Informationsschnipseln ist die eigentliche historiographische Aufgabe der Zeitgeschichte.

 

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