Logo des 49. Historikertags 2012 Ressourcen und Konflikte

49. Deutscher Historikertag 2012: Ressourcen - Konflikte

Die Karolinger und Europa. Überlegungen zur Erforschung von Personennetzwerken und Kommunikationsstrukturen sowie zur europaweiten Erschließung von Quellen im Rahmen der Regesta Imperii

Referent/in: Johannes Bernwieser

Abstract:
Dass die Herrschaftszeit der Karolinger für die Entstehung des modernen Europa von immenser Bedeutung ist, steht außer Zweifel. Dieser Abschnitt der Geschichte ist im Wesentlichen gekennzeichnet durch: erstens, die religiös vereinheitlichende Christianisierung großer Teile des Kontinents, die – zweitens – mit einem umfassenden Prozess der Literarisierung verbunden war, und drittens: durch die Verschmelzung verschiedener Völker zu einer vorübergehenden politischen Einheit. So umfasste das Frankenreich Karls des Großen fast das gesamte heutige Mittel- und Westeuropa. Gegenüber dieser Übermacht, die ihren symbolischen Ausdruck auch in der in Rom ausgerichteten Kaiserkrönung fand, waren die übrigen christlichen Königreiche und Fürstentümer in Spanien, Italien und England politisch eher weniger bedeutend. Gleichwohl existierte zwischen diesen Herrschaftsbereichen und den Karolingern ein intensiver Austausch, der in zeitgenössichen Quellen regen Niederschlag fand. Nach dem Tod von Karls Sohn Ludwig (840) kam es zur Herausbildung mehrerer Teilreiche; ein langfristiges Resultat dieser Entwicklung ist die spätere „Nationsbildung“ in Deutschland und Frankreich.

Während Karl und Ludwig von der Forschung besonders intensiv untersucht wurden, erfuhren deren Nachkommen weit weniger Aufmerksamkeit. Dieses Missverhältnis hängt mit dem eher entwicklungsgeschichtlich ausgerichteten Interesse der Wissenschaft zusammen, der es seit dem 19. Jahrhundert vor allem darauf ankam, die Ursprünge Deutschlands und Frankreichs zu erhellen. Vor diesem „nationalen“ Hintergrund gerieten die späten Karolinger – ihre Herrschaft galt wegen wegen des weiteren Auseinanderbrechens der Teilreiche eher als eine die „Nationsbildung“ verhindernde Krisenzeit – ebenso aus dem Blick wie deren nach wie vor intensiven Kontakte zu den Herrschern in den benachbarten Reichen.

Im Rahmen des Beitrags werden zunächst einige fränkische Quellen analysiert und Beispiele für die europaweite Vernetzung insbesondere der späteren Karolinger gegeben. Im zweiten Schritt soll der Bereich der ausgewerteten Quellen exemplarisch erweitert werden: Statt nur Texte zu den „deutschen“ oder „französischen“ Karolingern zu untersuchen, soll stichprobenartig auch die einschlägige angelsächsische Überlieferung hinzugezogen werden. Dabei soll deutlich werden, dass mit dieser Erweiterung des Untersuchungsgegenstands die Chance großer Erkenntnisgewinne verbunden ist: Denn durch die Einbeziehung dieser im weitesten Sinne „europäischen“ Quellenkorpora werden nicht nur regionale Spezifika im Bereich der Kanzlei, des Zeremoniells oder der Rechtsgewohnheiten offengelegt, die bei einer getrennten Behandlung nicht sichbar würden, sondern auch die politische Interaktion der Herrschaftsbereiche untereinander deutlich. Im dritten Teil sollen dann die mit dieser „Europäisierung“ verbundenen methodischen Schwierigkeiten umrissen und der Frage nachgegangen werden, inwieweit dieser Ansatz im Rahmen der Regesta Imperii umgesetzt werden kann.

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