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49. Deutscher Historikertag 2012: Ressourcen - Konflikte

Höfe und "Humankapital". Die höfische Konkurrenz um Fachleute aus Künsten, Wissenschaft und Diplomatie im 17. und 18. Jahrhundert

Zeit: 28.09.2012, 15:15 - 18:00
Ort: P 10
Kategorie: Frühe Neuzeit

Sektionsleiter/in: Christine Roll / Matthias Schnettger

Abstract:
Die Repräsentation frühneuzeitlicher Höfe ist ein Thema, das die Frühneuzeitforschung in den vergangenen Jahren intensiv beschäftigt hat. Sie hat auf diesem Feld beachtliche Erkenntnisfortschritte erzielt. Längst stehen nicht mehr nur die ‚großen‘ Höfe, wie Versailles und Wien, im Fokus des wissenschaftlichen Interesses, sondern auch den ‚kleinen‘, von denen es gerade in Deutschland und Italien etliche gab, wird beachtliche Aufmerksamkeit gezollt; auch die Höfe im östlichen Europa, die in mancher Hinsicht anders funktionierten als die anderen europäischen Höfe, werden mit dem methodischen Instrumentarium moderner Hofforschung mit Gewinn untersucht. Über die zahlreichen Einzelstudien hinaus sind mittlerweile auch Ansätze zu einer vergleichenden bzw. verstärkt  den Kulturtransfer zwischen den verschiedenen Höfen einbeziehenden Hofgeschichte zu erkennen. Hier ist nicht zuletzt der Aspekt der Konkurrenz zwischen den Höfen betont worden. Dieses Forschungsfeld bietet trotz der erzielten Fortschritte immer noch beachtliches, längst nicht ausgeschöpftes Erkenntnispotential.

Dies gilt insbesondere für den Aspekt der Rekrutierung der Fachleute, derer man bedurfte, um im Repräsentationswettbewerb der Höfe mithalten zu können. Diesem Thema der höfischen Konkurrenz um „human capital“ widmet sich die Sektion. Das Thema wird aus einer doppelten Perspektive, derjenigen der Höfe und derjenigen der umworbenen Fachleute, in den Blick genommen. Der besonders großen interdisziplinären Anschlussfähigkeit des Themas wird dadurch Rechnung getragen, dass unter den Vortragenden eine Musikwissenschaftlerin und zwei Kunst­historiker sind.

Zum einen wird die Sektion ausloten, wie die Höfe ihre Auswahl der zu rekrutierenden Künstler und Wissenschaftler trafen: Über welche Informationen verfügten sie? Was waren ihre Auswahlkriterien? Ging man überhaupt gezielt vor? Ebenso wichtig ist aber ein anderer Fragenkomplex: Mit welchen Mitteln versuchten sie die ins Visier Genommenen anzuwerben? Wie trat man an sie heran? Setzte man etwa auf bestehende Klientelbeziehungen oder auf einen „freien Markt“? Gab es Vermittler, Agenten, „Broker“? Wie maß man den Erfolg einer Anwerbung?

Auf der anderen Seite gilt es, die Perspektive der umworbenen Fachleute zu betrachten: Wie frei waren sie überhaupt in ihrer Entscheidung über ihre Brotgeber? Wie stark banden sie sich an Patrone? Welche Argumente konnten die Entscheidung für den einen Hof (und gegen den anderen) beeinflussen? Mit welchen Erwartungen kamen die Fachleute an den Hof? Welche Rolle spielten ökonomische Vorteile, Ruhm, günstige Rahmenbedingungen, langfristige Perspektiven? Was waren Maßstäbe, an denen die Angeworbenen Erfolg oder Misserfolg ihrer Tätigkeit maßen?

Es ist also ein ganzes Bündel an Fragen, das in der Sektion behandelt wird. Angesichts dessen ist der Untersuchungsgegenstand zeitlich, räumlich und inhaltlich eingegrenzt: Die Vorträge zur Perspektive der Höfe sind alle dem mitteleuropäisch-osteuropäischen Raum entnommen. Es handelt sich hierbei zudem um Höfe mit besonderem Anspruch, die aber, insbesondere aufgrund finanzieller Engpässe und / oder ihrer geographischen Randlage, im Kampf um geeignetes „Humankapital“ etwa gegenüber dem Versailler Hof einen schwierigeren Stand gehabt haben dürften. In der Zusammenschau der Beiträge wird zu überlegen sein, ob die ost- und ostmitteleuropäischen Herrscher und ihre Berater es dabei beließen, bloß dem französischen Vorbild nachzueifern, oder ob sie - entsprechend ihrem dynastischen und zunehmend auch am Staat orientierten Selbstbewusstsein - nicht doch ganz eigene Konzepte höfischer Repräsentation verfolgten. Insofern - und damit dürften wichtige Erkenntnisgewinne für die Hofforschung ver­bunden sein - verspricht diese Sektion auch Aufschlüsse darüber, welche Bedeutung der Konkurrenz um die umworbenen Fachleute denn zukam in der ganz großen Konkurrenz der europäischen Höfe um Reputation und Macht. Ziel der Sektion ist nicht, das Thema erschöpfend zu behandeln, sondern gleichsam mittels unterschiedlicher Sonden, die teils auf Fallbeispiele, teils systematisch ausgerichtet sind, sein Potential, nicht zuletzt im interdisziplinären Diskurs, auszuloten.

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