Großbritannien und die Universität Göttingen – eine gewinnbringende Beziehung
von Jenny van den Heuvel, M.A.
Die Wahl des diesjährigen Tagungsortes des 50. Deutschen Historikertags, die Georg-August-Universität Göttingen, und die des diesjährigen Partnerlandes des Historikertags, Großbritannien, sind geradezu als zwangsläufig zu bezeichnen, stehen doch beide seit über 275 Jahren in einer engen wissenschaftlichen und kulturellen Verbindung.
Alles begann Anfang des 18. Jahrhunderts mit dem Aufstieg der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg, den Kurfürsten von Hannover, zu britischen Königen. Georg I. und ihm nachfolgend vier weitere Herrscher aus dem Hause Hannover regierten von 1714 bis 1837 in Personalunion das Königreich Großbritannien und das Kurfürstentum (später Königreich Hannover), in dessen Gebiet auch die Stadt Göttingen lag. Anders als das Königreich Großbritannien, das seit dem späten 17. Jahrhundert eine wichtige Rolle im europäischen Wissensaustausch spielte und sich im Laufe des 18. Jahrhunderts zur führenden Nation im Bereich der technischen und wissenschaftlichen Erfindungen und Neuerungen entwickelte, stand das Kurfürstentum Hannover bei derartigen Transformationsprozessen eher am Rande. Um diesem Umstand Abhilfe zu schaffen, ließ der zweite britische König aus dem Hause Hannover, Georg II., ab 1734 im eher ländlich geprägten und strukturschwachen Göttingen eine Universität gründen, die sich vor allem dank der fortwährenden Unterstützung durch die Kurfürsten/Könige zu einer der führenden Universitäten des deutschsprachigen Raumes und darüber hinaus entwickelte.
Anziehungspunkte für Studenten und Professoren aus ganz Europa waren neben der von den Idealen der Frühaufklärung bestimmten Lehre und Forschung – es galt nicht mehr die Vorherrschaft der theologischen Fakultät über die Lehr- und Forschungsinhalte der anderen Fakultäten – vor allem die umfangreiche Bibliothek der Universität, die um 1800 etwa 150.000 Bücher umfasste, und die universitären Sammlungen, die Forschung und Lehre gleichermaßen dienten.
Beide, die Bibliothek und die Sammlungen, konnten vor allem deswegen angelegt werden und beständig wachsen, weil im Kommunikations- und Handlungsraum, den die Personalunion zwischen Großbritannien und Hannover eröffnete, ein regelmäßiger Austausch und Transfer zwischen London und Göttingen stattfand. Dank einer regen Ankaufspolitik des maßgeblichen Initiators und Unterstützers der Georg-August-Universität, Gerlach Adolph von Münchhausen, und der Universitätsbeamten über den internationalen Buchmarkt in London war die Bibliothek immer auf dem neusten Stand der Publikationen und entwickelte rasch eine Reihe von Sondersammelgebieten etwa zu Nordamerika und den britischen Kolonialreichen in Afrika und Asien, die noch heute die Struktur der Universitätsbibliothek prägen.
Auf dem Gebiet der Universitätssammlungen konnten sich engagierte Professoren wie der Göttinger Anatom und Anthropologe Johann Friedrich Blumenbach dank der engen Verbindung zum britischen Königshaus Vorkaufsrechte bei der Erwerbung von Gegenständen aller Art sichern, die im Zuge der weltweiten britischen Expeditionen im späten 18. Jahrhundert ihren Weg zunächst nach London, dann aber weiter nach Göttingen fanden. So bildete die umfangreiche Sammlung von Alltagsgegenständen, Artefakten, Waffen, Schmuck und Kleidung, die Reinhold und sein Sohn Georg Forster auf der zweiten Weltumsegelung des britischen Kapitäns James Cook zusammengestellt hatten, den Grundstein für die ethnologische Sammlung der Universität und kann noch heute im Form der Cook-Forster-Sammlung in den Räumen der Ethnologie besichtigt und für Lehre und Forschung verwendet werden.
Nicht zuletzt zeigt sich die enge Verbindung zwischen Großbritannien und der Universität Göttingen auch im Bereich der Anglistik und Amerikanistik. Begünstigt durch die Verbindung zum britischen Weltreich entstand in Göttingen bereits 1762 die weltweit erste ordentliche Professur für englische Sprache, die einen raschen Aufschwung der Universität zu einem der Zentren für die Übersetzung und Rezeption englischsprachiger Literatur in Kontinentaleuropa machte, zugleich aber auch der Anglophilie im deutschsprachigen Raum maßgeblichen Aufschwung gab.