Paradoxa monetaria. Der Diskurs um Finanzkrisen in Deutschland, England und den Niederlanden im 17. Jahrhundert

JUSTUS NIPPERDEY (Saarbrücken)

Abstract:

Seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts intensivierte sich europaweit die publizistische Begleitung und Kommentierung von Finanz- und Wirtschaftskrisen. In Abwesenheit einer systemischen (ökonomischen) Krisenvorstellung war diese Kommunikation geprägt von der Suche nach den Schuldigen, die mit den realen oder imaginierten Gewinnern der Krise gleichgesetzt wurden. Dem wurde die Gesamtheit der res publica vom gemeinen Mann bis zum hohen Adel als Verlierer entgegengesetzt. Die Identifizierung der schuldigen Gewinner bedeutete zugleich den Weg zur Überwindung der Krise, denn dazu musste deren Tun bloß noch Einhalt geboten werden. Trotz dieser relativ einheitlichen Art von Krisenwahrnehmung unterscheiden sich die konkreten kommunikativen Strategien in den unterschiedlichen diskursiven Zusammenhängen West- und Mitteleuropas. Der Vortrag konzentriert sich auf die Handels- und Währungskrise in England und dem Heiligen Römischen Reich zu Beginn der 1620er Jahre sowie auf vergleichbare Krisenkommunikationen in den ökonomisch prosperierenden Niederlanden. Das Ziel des Vergleichs der drei Fälle ist die Ermittlung eines gemeinsamen Typs von Krisenkommunikation über die diskursiven Eigenheiten (und objektiven ökonomischen Gegebenheiten) der jeweiligen Länder hinweg, ohne dabei die Differenzen zu negieren. Diese Gemeinsamkeiten lassen sich gerade anhand der Konstruktion von Gewinnern und Verlierern der Krise identifizieren, die daher ein vorzügliches heuristisches Mittel für einen neuen Blick auf die im nationalen Kontext jeweils gut untersuchten Krisen bietet.

English Version:

Paradoxa monetaria – discourses on financial crises in Germany, England, and the Netherlands in the 17th century

Starting in the early 17th century, the public discourse on financial and economic crisis intensified all over Europe. As a concept of systemic (economic) crises did not exist, these expressions were informed by a quest for culprits who were equated with the real or imagined winners of the crisis. In contrast, the entire commonwealth from the common man to the aristocracy were branded as the losers of the culprits’ machinations. Nevertheless, identifying those guilty winners denoted the way of overcoming the crisis. They only had to be stopped by the authorities. Despite this relatively unitary type of perceiving a crisis, there existed distinctive discursive strategies in the various contexts of Western and Central Europe. The paper will concentrate on the trade and monetary crisis in England and the Holy Roman Empire of the early 1620s as well as on comparable crisis discourses in the otherwise thriving Netherlands. The aim of this three-way comparison is to identify a general type of crisis discourse transcending the respective national peculiarities and economic conditions without sweeping those differences under the carpet. The common ground can best be recognized by looking at the processes of constructing winners and losers of a crisis. Therefore, these processes offer an excellent heuristic device for taking a fresh look at these crises that have mostly been analyzed in a national context.