Gott würfelt nicht. Losverfahren und Kontingenzbewältigung bei Ratswahlen in der frühneuzeitlichen Republik Bern

NADIR WEBER (Bern)

Abstract:

Im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert wurden in der Republik Bern verschiedene Elemente der Loswahl eingeführt. Das Ziehen von Nummern und „Ballotten“ sollte familiäre Absprachen im Vorfeld von Ämterbesetzungen verhindern und eine breitere Allokation von Ressourcen unter den Ratsherren bewirken. Tatsächlich erwiesen sich die neuen Verfahren in der Sicht in- und auswärtiger Beobachter als erfolgreiches Mittel der Bekämpfung von Oligarchisierungstendenzen innerhalb des regierenden Patriziats. Ebenso deutlich wurde jedoch, dass durch die strikte Rahmung des Zufalls – das heißt die Begrenzung von Losentscheidungen auf durch ständische Qualität, Amt und Anciennität als gleichwertig erachtete Kandidaten und ihre Einbindung in mehrstufige Wahlverfahren – der aristokratische Charakter der Republik nicht etwa in Frage gestellt, sondern vielmehr bestätigt und gestärkt wurde. Forderungen nach Loswahlen unter sämtlichen Bürgern der Stadt verhallten entsprechend ungehört. Der geplante Beitrag fragt nach den zeitgenössischen Begründungen, Inszenierungen und Beurteilungen der Losverfahren im Berner Kontext. Ein spezielles Augenmerk liegt auf den kontroversen Deutungen des Zufalls zwischen mechanischer Blindheit, verteilender Vernunft und göttlicher Vorsehung – auch und gerade aus der Sicht von „Verlierern“ wie dem Universalgelehrten und Berner Großrat Albrecht von Haller, dessen Kandidaturen für den Kleinen Rat wiederholt an der Farbe der Ballotte scheiterten.