Wikipedia und Geschichtswissenschaft. Eine Zwischenbilanz

TEIL 1:

MAREN LORENZ (Toronto)
Wikipedia. Ein Spiegel der Gesellschaft. Zum schwierigen Verhältnis von öffentlich verhandelter Geschichtsrepräsentation und -rezeption

JAN HODEL (Aarau)
Wikipedia. Geschichtsfragmente auf Abruf

ZIKO VAN DIJK (Dortmund)
Wikipedia. Das ideale Hilfsmittel für den Einstieg in ein historisches Thema?

PETER HOERES (Würzburg)
Diskussion und Moderation

TEIL 2:

THOMAS WOZNIAK (Marburg)
Wikipedia in Forschung und Lehre. Eine Übersicht

ANDREAS KUCZERA (Regesta Imperii)
Wikipedia und Wissenschaftler – ein nicht repräsentatives Stimmungsbild.

JÜRGEN NEMITZ (Marburg)
Wikipedia in der geschichtswissenschaftlichen Lehre. Bericht über Lehrveranstaltungen an der Philipps-Universität Marburg

GEORG VOGELER (Graz)
Diskussion und Moderation

Abstract:
Das populäre Geschichtsbild wird zunehmend durch das Internet geprägt. Dort wiederum belegt die Online-Enzyklopädie Wikipedia Platz sechs aller weltweit aufgerufenen Webseiten. Durch ihre enorme Reichweite hat die Wikipedia innerhalb weniger Jahre einen erheblichen Einfluss auf das Geschichtsbild breiterer gesellschaftlicher Schichten erlangt. Mit der wachsenden Rezeption wird die Auseinandersetzung mit diesem Medium von außen an die Geschichtswissenschaft herangetragen. Diese hat zwar eigene digitale Arbeitstechniken entwickelt, aber bisher noch kaum Umgangsformen mit dem seit über zehn Jahren gewachsenen Phänomen „Wikipedia“. Die Versuche der Geschichtswissenschaft damit umzugehen, schwanken bisher zwischen institutionalisiertem Verbot, vorbehaltlicher sowie oft geheimer Nutzung und interessierter aktiver, bisweilen anonymer Mitarbeit.
Trotz aller Probleme mit der Qualität stellt die Wikipedia-Datenbank mittlerweile eine quantitativ sehr große Sammlung von Einzeldaten dar, die bei entsprechend kritischen Methoden auch für die Geschichtswissenschaft ertragreich sein kann. Dafür ist zunächst zu fragen, was bei der Wikipedia im Vergleich zur geschichtswissenschaftlichen Arbeit anders gehandhabt wird und wo Gemeinsamkeiten liegen. Das Verfassen von enzyklopädischen Artikeln ist eine besondere Textgattung, die wenig mit „Wissen schaffen“ und mehr mit „Wissen kompilieren“ zu tun hat. Allerdings ist die freie kollaborative Autorenschar noch auf der Suche nach einem eindeutigen Konzept bzw. Profil. Das Spektrum reicht vom an antiken Enzyklopädisten orientierten Wissenskompilator, über die an den neuzeitlichen Konversationslexika orientierten Bereitsteller von Konversationsgrundlagen bis zu den Nationalenzyklopädien, die halfen, die Identität von Nationalstaaten zu konstruieren. Dies macht es für die Geschichtswissenschaft nicht einfacher, mit der Online-Enzyklopädie umzugehen.
In jedem Fall ist die Wikipedia als Projekt damit kein Wissensproduzent sondern eher ein Wissenssammler, der aufgrund des hohen öffentlichen Rezeptionsgrades über eine starke konstruierende Funktion in Bezug auf populäre Geschichtsbilder verfügt. Der Geschichtswissenschaft fehlt bis heute ein auch nur grobes Konzept zum Umgang mit dem Phänomen. Große Lexikonverlage wie Brockhaus und Wahrig sind unter dem Druck der neuen Medien zusammengebrochen, weil sie sich einer Auseinandersetzung zu lange verweigert hatten. Diese Gefahr besteht für die hoch spezialisierten Geschichtswissenschaften nicht, auch weil sie mittlerweile einige erfolgversprechende Initiativen ausprobiert haben. Die Sektion soll zunächst die Wikipedia als von außen an die Geschichtswissenschaft herangetragene Herausforderung analysieren. Im zweiten Schritt werden dann die möglichen Schnittstellen für eine Zusammenarbeit in Forschung und Lehre ausgelotet und dabei die bisherigen Erfahrungen der akademischen Arbeit mit der Wikipedia zusammengefasst.