Verlierer in der „Konkurrenz unter Anwesenden“. Agonalität in der politischen Kultur des antiken Rom

KARL-JOACHIM HÖLKESKAMP (Köln)
Einführung. Verlierer in der „Konkurrenz unter Anwesenden“. Probleme und Perspektiven

HANS BECK (Montreal)
Der neue Wettbewerb um die öffentlichen Ämter. Ambitus und „also-rans“ in den Jahren nach dem Hannibalkrieg

ELKE STEIN-HÖLKESKAMP (Duisburg-Essen/Siegen)
Aussteigen statt Absteigen? Die Entwicklung konkurrierender Felder der Distinktion von der späten Republik zum frühen Principat

ANDREAS KLINGENBERG (Köln)
Zwischen republikanischer Tradition und kaiserzeitlicher Realität. Der soziale Abstieg von Senatoren und die senatorischen Rollenbilder im frühen Principat

EGON FLAIG (Rostock) und MARTIN JEHNE (Dresden)
Rück-, Seiten- und Ausblicke

Abstract:
Die der „Vergesellschaftung unter Anwesenden“ eigentümliche politische Kultur der unmittelbaren, präsentisch-performativen Interaktion setzt eine besondere räumliche und personale Verdichtung voraus. Damit verlangt sie eine direkte, individuell wie kollektiv (er-)lebbare Sichtbarkeit, Hörbarkeit und Erfahrbarkeit allen öffentlichen Handelns, ritueller Praktiken wie politischer Entscheidungsprozesse. Diese Sichtbarkeit muß zu einer dementsprechenden spezifischen Ausprägung des Handlungsmodus ‚Konkurrenz’ führen – und dies gilt vor allem in einer politischen Kultur, in der die wichtigsten und sozial profitabelsten Prominenzrollen in kompetitiven Verfahren wie Wahlen vergeben werden: Die Sichtbarkeit der Akteure, die auf der ‚Bühne’ der Öffentlichkeit als ‚Konkurrenten’ handeln, und diese ‚Bühnen’ selbst bestimmen nicht nur die konkreten Modi des Austrags – Wahlen, Gerichtsverfahren etc. – und ihre dynamische ‚Ver-Regelung’, sondern auch Habitus, Verhaltensmodi dieser Akteure. Die Sieger treten unmittelbar als solche auf – und mutatis mutandis sind die Verlierer ihrer Sichtbarkeit geradezu schmerzlich ausgesetzt.
Das der politischen Kultur eingeschriebene Problem, daß das Prinzip ‚Wahl’ als alternativenloses Verfahren der Reproduktion von aristokratischem Status, Rang und Reputation, regelmäßig Jahr für Jahr zwangsläufig eine erhebliche Zahl von Verlierern produzierte, ist als solches bislang in der Forschung kaum begriffen worden – und erst recht ist noch gar nicht erkannt worden, daß darin ein zentrales Problem einer hochgradig kompetitiven politischen Kultur besteht, das im Interesse der Stabilität eines solchen Systems gelöst werden muß. Gerade weil es einerseits für individuelle Angehörige der politischen Klasse der römischen Republik, die sich als ‚meritokratisch’ legitimierter Amtsadel permanent reproduzierte, bei den Wahlen zu eben diesen Ämtern um die Konstitution ihres Status und um ihren Rang innerhalb dieser Elite ging; gerade weil es andererseits zumindest bis in die späte Republik keine alternativen Karriereoptionen gab, die ein vergleichbares Prestige und symbolisches Kapital einbringen konnten, ist in dieser politischen Kultur mit einem hohen Potential an Gefährdung durch Strittigkeit der Geltung der Regeln bzw. ihrer konkreten Anwendung zu rechnen.
Daher ist danach zu fragen, welche Faktoren geeignet waren, den Ausgang einer Wahl für die Verlierer akzeptabel zu machen: Dazu könnten etwa der jährliche Takt der ‚Auslobung’ und die Quantität der ‚Siegesprämien’ (in Gestalt der Praeturen) zählen. Darüber hinaus ist nach der Möglichkeit zu fragen, ob und gegebenenfalls ab wann sich die Entstehung von Alternativen in Gestalt von neuen Distinktionsmerkmalen und Lebensentwürfen abzuzeichnen begann, die zunächst neben das klassische Karrieremuster des agonalen Erwerbs von honores traten, es später partiell ergänzten und womöglich schließlich gar ersetzten. Damit eröffnet sich eine über das ‚republikanische’ Projekt hinausgehende weitere Perspektive, die den besonderen Charakter der kulturspezifischen römischen ‚Agonalität’ und dessen Wandel in den Mittelpunkt stellen muß.