Unter deutsch-deutschen Dächern. Die Eigentumsfrage im Spannungsfeld zwischen Aneignung, Enteignung und „Wiedergutmachung“ vor und nach 1989

HENRIK BISPINCK (Berlin)
„Republikflucht“ und Eigentum. Enteignung als Ursache und Folge von Flucht und Abwanderung aus der DDR

UDO GRASHOFF (Leipzig)
Vernachlässigtes Eigentum als Chance. Schwarzwohnen in der DDR

ROBERT KLÜSENER (Gotha)
Grundsatz – Praxis . Alternativen zum Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“

KERSTIN BRÜCKWEH (Tübingen/Trier)
Eigener Herd ist Goldes wert. Die Umsetzung des Prinzips „Rückgabe vor Entschädigung“ in bevorzugten Wohnlagen

INES LANGELÜDDECKE (Hamburg)
Die Rückkehr der Adligen aufs Land und die Auseinandersetzung um den früheren Gutsbesitz. Eine brandenburgische Lokalstudie

RALPH JESSEN (Köln)
Kommentar

Abstract:
Nach dem Zusammenbruch der DDR stellte sich für die Schaffung rechtsstaatlicher und marktwirtschaftlicher Strukturen die grundsätzliche Frage, was mit dem enteigneten oder staatlich verwalteten Eigentum geschehen sollte. Im Zuge der Verhandlungen zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion wurden die Eigentumsfragen zunächst zurückgestellt, denn der gesamte Komplex war nach Einschätzung von Dieter Grosser „verworren bis zur Unbegreiflichkeit“. Letztlich wurde unter dem Stichwort „offene Vermögensfragen“ das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ festgelegt. Über zwei Millionen Immobilien und Grundstücke auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wurden daraufhin von den Alteigentümern bzw. ihren Erben zurückgefordert. Die Frage des Wohneigentums wurde nach 1989 zum Schauplatz von konträren Ansichten, die mit Gefühlen von Rückeroberung von „Heimat“, mit Profitstreben oder mit Ansprüchen des z.B. durch Flucht oder DDR-Strafprozesse verlorenen Eigentums oder mit Enteignungs- und Entschädigungsfragen aus der NS-Zeit einhergingen und das Grundrecht auf Wohnen zu einem Zeitpunkt betrafen, zu dem die ehemaligen DDR-Bürger einer vielfach unsicheren Zukunft entgegenblickten. Zeitungen in Ost und West sprachen von „kahlfressenden Heuschrecken“ oder „Häuserkrieg“ und zeichneten undifferenzierte Bilder eines Kampfes von „Ossis“ gegen „Wessis“. Während die Rollen im medialen Diskurs klar verteilt waren, wurde in der Praxis anders entschieden. Um den verschiedenen Perspektiven gerecht zu werden, nehmen die Beiträge der Sektion die politischen Entscheidungsprozesse sowie die rechts- und verwaltungstechnische Umsetzung ebenso in den Blick wie die Betroffenen auf beiden Seiten und die (Eigentums-)Objekte selbst sowohl vor als auch nach 1989. In dieser Sektion wird somit ein kontroverses Stück deutsch-deutscher Geschichte thematisiert; zugleich werden Politik- und Rechtsgeschichte mit Erfahrungs- und Alltagsgeschichte verbunden. Eingegliedert ist das Thema in das internationale Forschungsfeld der Transitional Justice.

English Version:
Under German roofs. The restitution of private property before and after 1989

What to do with the private property that had been confiscated by communist authorities during GDR-times? This was a core question after the breakdown of the GDR in 1989. The circumstances of the matter turned out to be extremely convoluted but were finally resolved as part of the talks about a “Waehrungs-, Wirtschafts- und Sozialunion”. The principle of “Rueckgabe vor Entschaedigung” (return before compensation) was established. As a result, former owners of property or their heirs claimed more than two million pieces of property or land in the former GDR. This topic brought together various interests and opinions: some were demanding a right to their “homeland” while others wanted justice for the loss of property through prosecution or flight during GDR-times or even during the NS-regime. The claims for the return of properties affected the people who had lived in them up until then and who were already confronted with an insecure future in many ways. Newspapers in the East and West spoke of “war on houses” and drew a simplified picture of “Ossis” versus “Wessis”. In administrative practise and everyday life the matter took on a different shape. This panel therefore focuses on the political, judicial and administrative processes as well as on the encounters between the former and the current “owners” and the property objects themselves. Under which circumstances did the former owners lose their assets and how did the new owners appropriate the property? How did the encounter between both parties take place after 1989? And how was a decision for return or compensation made? This panel takes up a controversial piece of German history und combines political, judicial and administrative history with the history of everyday life. It is therefore part of the huge international research area of transitional justice.