„Rise and Fall“? Normwandel in der Bemessung dynastischen und staatlichen „Erfolgs“ im „Zeitalter der Aufklärung“

THOMAS BISKUP (Hull)
Einführung in das Thema

ANDRÉ KRISCHER (Münster)
Rang, Status und Ritual – überlebte Größen im 18. Jahrhundert?

LARS BEHRISCH (Utrecht)
„Politische Zahlen“: Statistik als neuartige Messlatte staatlichen Erfolgs

ANDREAS PECAR (Halle-Wittenberg)
Avantgarde statt Präzedenz?
Die Idee der Zivilisationsmission und ihre Folgen für die Länderklassifikation

CASPAR HIRSCHI (St. Gallen)
Das Erbe des „Colbertismus“: die staatliche Organisation des Wissens im Ancien Régime

Abstract:
Die Kategorien von Aufstieg und Abstieg sind in der Geschichte der internationalen bzw. zwischenhöfischen Beziehungen in der Frühen Neuzeit gängige Größen der Kategorisierung und Beschreibung. Ein neueres Handbuch etwa ordnet die Akteure der Außenpolitik im 18. Jahrhundert kapitelweise den Kategorien Großmächte und Aufsteiger in der Pentarchie, Absteiger, Schwellenländer und Randfiguren zu. Die Kriterien dieser Aufstellung werden nicht diskutiert, impliziert wird jedoch, dass das politische Gewicht der Staaten vorwiegend von ihrer militärischen Schlagkraft abhing. Die politische Kulturgeschichte hat allerdings in den letzten Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass neben der Frage politisch-militärischer Durchsetzungsfähigkeit zahlreiche weitere Kriterien das Handeln der politischen Akteure bestimmten: Die gesamte Frühe Neuzeit hindurch waren der Rang innerhalb der Fürstengesellschaft, das Alter einer Dynastie (und ihre Ämter und Verbindungen in zurückliegenden Generationen), Ausstrahlung und Integrationskraft eines Hofes, aber auch das persönliche „Image“ eines Herrschers für das Prestige innerhalb der Fürstengesellschaft entscheidend. Es gab eine Vielzahl von Kriterien, mit denen Status- und Geltungsansprüche vorgebracht werden konnten, und dementsprechend auch eine Vielzahl von Kriterien, anhand derer sich innerhalb der Fürstengesellschaft Aufsteiger und Absteiger ausmachen ließen.
In Geschichtsschreibung, Kameralwissenschaft, Zeremonialwissenschaft, Staatsrecht und Völkerrecht, in politischer Klugheitsliteratur und in den Gazetten und Journalen wurde darüber räsoniert, nach welchen Kriterien sich politischer Erfolg messen und klassifizieren lässt und welche Handlungsempfehlungen sich für die Akteure daraus ergeben. Allgemein akzeptierte Normen lassen sich in diesen vielstimmigen Diskursen kaum herausarbeiten, wohl aber gewannen neue Klassifikationskategorien im Lauf des 18. Jahrhunderts an Gewicht: Neben territorialer Größe, finanziellen Ressourcen und militärischer Truppenstärke ging es auch um „Ökonomie“ im weiteren Sinne, um „Gemeinwohl“ und – etwa in Gibbons Decline and Fall aufscheinende – moralisch begründete Bestandsaufnahmen. So lässt die Rezeption aufgeklärter Fürsten in der Öffentlichkeit und ihr Bild in aufgeklärten Journalen vermuten, dass Reformen eine zunehmende Rolle für die Bewertung staatlichen Handelns spielten, aber auch hier war das Verhältnis von politischem Handeln und Erfolgsbemessung komplexer, als es zunächst scheint.
In den fünf durchwegs auf umfangreichen empirischen Studien beruhenden Referaten dieser trinationalen Sektion geht es darum, „Leitwährungen“ herauszuarbeiten, an denen politischer Erfolg gemessen wurde. Ältere wie neuere Kategorien waren dabei nicht unveränderbare Einheiten, deren Verhältnis zueinander nur neu gewichtet wurde, sondern sie unterlagen stets selbst diskursiven und performativen Veränderungen. So soll erstens die Vielgestaltigkeit der Kategorien zur Bestimmung bzw. zur Behauptung von Größe und Erfolg exemplarisch aufgezeigt werden und danach gefragt werden, welche Akteure jeweils solche Bewertungen vornahmen und welcher Medien sie sich dabei jeweils bedienten. Zweitens wird der Wandel der Bewertungsmaßstäbe im 18. Jahrhundert Gegenstand der Diskussion sein und gefragt werden, welche Aspekte bei der Taxonomie von Größe und Erfolg hinzukamen, welche an Bedeutung verloren und welche bedeutsam blieben – oder ob nicht sogar das gesamte Bezugssystem für die Bemessung politischen Erfolgs ersetzt wurde.

English Version:
The terminology of „rise and fall“ is often used in historiography to describe change in international (or, rather, interdynastic) relations in the early modern period. A leading German handbook, for instance, categorises all 18th century states as „great powers“ or „rising powers“, powers „in decline“, emerging states or marginal players. Although these criteria are not further discussed, the implication is that the political weight of a given state depended on its military clout. In recent years, however, historians of political culture have pointed out that alongside military capabilities and political assertiveness, a number of other criteria regulated the conduct of political agents: in the period here under consideration, rank in the „society of princes“; the age, accumulated offices and alliances of a dynasty; attractiveness of a court, as well as the „image“ of individual rulers all contributed to determining the prestige of an early modern state. Quite as a plurality of norms allowed princes to claim ever further rights and a higher status, the measuring of political success was also dependent on several criteria, rather than a fixed set of norms.
In historiography and cameralism, the science of ceremonial, constitutional law and international law, prudence literature, newspapers and journals, it was debated how political success could be measured, how the „performance“ of political agents could be assessed and classified, and what guidance might be recommended. In this polyphonic discourse, only few universally accepted norms can be identified, but it appears that in the course of the 18th century, new categories gained weight: in addition to size of territory, financial resources, and military manpower, the „economy“, the „common good“ and stock-taking based on moral considerations all played a role. Thus, the assessment of enlightened rulers in the public sphere, and their image in enlightened journals, suggest that reforms played an increasing role for the assessment of political action although there was evidently no straightforward link between reform and success.
The five papers of this tri-national section aim at identifying benchmark criteria for the assessment of political success on the European stage in the 18th century. It is important to note that older and more recent criteria were at no stage fixed categories, the respective weight of which was simply being redressed; rather, the criteria were dynamic concepts in themselves, ever subject to discursive and performative change. Thus, the section will, first, highlight the plurality of categories determining the assessment of success, examine the agents undertaking such assessments, and ask what media they used. Secondly, the change of valuation methods in the course of the 18th century will be discussed: which aspects in the classification of performance were added, which ones lost importance, and which ones retained their role – or should we rather speak of the substitution of the entire framework of assessing political success?