Migrantenschicksale im mittelalterlichen Jahrtausend. Gewinner und Verlierer in Prozessen kulturellen Wandels

MICHAEL BORGOLTE (Berlin)
Einführung

ANNETTE SCHMIEDCHEN (Halle/Berlin)
Brahmanische Wanderungsbewegungen im mittelalterlichen Indien

VOLKER OLLES (Berlin)
Die Reise nach Osten.
Wie der chinesische Mönch Jianzhen die buddhistische Ordensregel nach Japan brachte

TILLMANN LOHSE (Berlin)
Christliche Missionare als Migranten

LUTZ BERGER (Kiel)
Arabisch-muslimische Migration und Reichsbildung als Phänomen der Völkerwanderungszeit

JENNY RAHEL OESTERLE (Bochum)
Schutzgewähr in Phasen religiöser und politischer Expansion

JERZY MAZUR (Nantes)
Jewish Migrations to Italy and Poland in the 14th and 15th Centuries in Comparative Perspective

Abstract:
Im Unterschied zu herkömmlichen Migrationsstudien sollen weniger Massenwanderungen als die Verlagerungen des Lebensmittelpunktes durch Einzelne oder kleinere Gruppen thematisiert werden. Gefragt wird danach, ob und wann die Integration von Fremden „erfolgreich“ war, mit welchen kulturellen Importen sie die neue Mehrheitsgesellschaft verändern konnten, was von ihren Eigenheiten verloren ging und ob sich Rückwirkungen der neuen Umgebung auf die eigene Kultur, auch in der alten Heimat, feststellen lassen. Die Vorträge sollen auch als Beitrag zum Streit über die Genese von „Kultur“ zwischen Isolationisten, Diffusionisten und Migrationisten verstanden werden. Deshalb wird nicht zuletzt darauf geachtet, was die persönliche Präsenz des (einzelnen) fremden Zuwanderers an nicht intendierten kulturellen Effekten mit sich gebracht hat.
Die „Mittelalterliche Geschichte“ wandelt sich in der Gegenwart von einer Disziplin zur Erforschung der lateineuropäischen Welt von ca. 500–1500 zu einer historischen Wissenschaft, die im globalen Rahmen nach transkulturellen Verflechtungen fragt und sich im interkulturellen Vergleich Einsichten nicht-katholischer Gesellschaften auch außerhalb von Europa zunutze macht. Deshalb beteiligen sich an der Sektion neben Mediävisten auch Vertreter_innen scheinbar entlegener Fächer. In Beiträgen der Indologie und der Sinologie werden Wanderungen von Brahmanen und buddhistischer Mönche in Süd- und Ostasien behandelt; aufgezeigt werden neben religiösen wirtschaftliche und politische Interessen, konkurrierende Rechts- und Gesellschaftsvorstellungen. Für die kulturelle Wirkung von Mönchsmissionaren bei der Christianisierung des Abendlandes bieten Begriffe und Modelle der Migrationsgeschichte, wie der Mediävist demonstriert, ein vielversprechendes Instrumentarium. Der Islamwissenschaftler vergleicht die Interaktionen zwischen alteingesessener Bevölkerung und Neuankömmlingen bei germanischen und arabisch-muslimischen Ansiedlungsprozessen in der Zeit der sogenannten Völkerwanderung. Die islamische Expansion vom Mediterraneum bis Zentralasien wird im zweiten mediävistischen Referat behandelt. Der Judaist weist wirtschaftliche Motive für die jüdische Migranten nach Italien und Polen im späten Mittelalter nach.

English Version:
In contrast to conventional migration studies the focus will not be on mass migration but the immigration by individuals or smaller groups. The question will be if and when the integration of foreigners was “successful”, which cultural imports had an impact on the new majority society, what of their cultural identity was lost and did the new environment affect the culture in their native country. The lectures are also to be understood as a contribution on the controversy of cultural genesis among isolationists, diffusionists and migrationists. Hence the unintended cultural effect caused by the personal presence of the individual immigrant shall be taken into account.
The discipline of “medieval history” used to study the world of Latin Europe from 500 – 1500 A.D. and is currently becoming a historical science which is looking for transcultural interrelations around the world. These insights of non-Catholic societies, inside and outside of Europe, are used for intercultural comparison. Therefore not only medievalists but also representatives of apparently remote fields of study are part of this section. The contributions of Indology and Sinology will deal with migrations of Brahmins and Buddhist monks in Southeast Asia; alongside religious and economic interests competing ideas of law and society will be revealed. The medievalist will demonstrate that terms and models of migration history are promising instruments to explain the cultural effect caused by the missionary activity of monks during the Christianization of the Occident. The discourse on Islamic studies will compare the interaction between locals and foreigners regarding the process of settlement by Germanic peoples and Arab Muslims during the so-called “Völkerwanderung”. The Muslim expansion from the Mediterranean to Central Asia will be the topic of the second medieval lecture. The talk with respect to Jewish studies will show economic motives for Jewish migration to Italy and Poland in the late Middle Ages.