„Gewinner” in der Kritik. „Verlierer” ernten Lob. Jenseits der Panegyrik des „guten Herrschers” in der hochmittelalterlichen Chronistik

HANS-WERNER GOETZ (Hamburg)
Einleitung und Moderation

GRISCHA VERCAMER (Warschau)
Einführung in die Sektion /
König Stephan und „Kaiserin“ Mathilde in den Gesta Stephani und der Historia Novella sowie in der späteren Rezeption

NORBERT KERSKEN (Marburg)
Politische Sieger und Verlierer in der hochmittelalterlichen Geschichtsschreibung des östlichen Mitteleuropa

HEINZ KRIEG (Freiburg i.Br.)
Friedrich Barbarossa und die Zähringer: „Gewinner“ und „Verlierer“ bei Otto von Freising und Otto von St. Blasien

MARKUS KRUMM (München)
Der König als Nebukadnezar. Roger II. von Sizilien in der Ystoria des Alexander von Telese

JULIAN FÜHRER (Paris/Zürich)
Ludwig VI. ein Gewinner, Ludwig VII. ein Verlierer? Zur französischen Herrschergeschichtsschreibung im 12. Jahrhundert

Abstract:
‚Gewinner’ werden gerne von Historiographen und Chronisten gelobt und besungen. Positives zu sagen kostet nicht viel und bringt im Zweifelsfall Meriten in Form von Auszeichnungen oder Ämtern ein. Otto von Freising schreibt aus seiner hochmittelalterlichen Sicht: „Die Absicht aller, die vor uns Geschichte geschrieben haben, war es, so meine ich, die glänzenden Taten tapferer Männer zu preisen um die Menschen zur Tatkraft anzuspornen, die verborgenen Handlungen der Feiglinge dagegen entweder zu verschweigen, oder, wenn sie ans Licht gezogen werden, nur zu erwähnen, um die gleichen Sterblichen abzuschrecken.“ Die Einteilung in ‚good guys’ und ‚bad guys’ wird hier mehr als augenfällig. – Die Welt ist klar kategorisiert und die Vergangenheit dient als ‚Steinbruch vorbildlichen oder schimpflichen Verhaltens’. Zwischentöne sind nicht erwünscht. – Jedoch gibt es sie doch: Versteckt und nicht unbedingt auf den ersten Blick erkennbar konstruieren Historiographen ein vielleicht auch etwas menschlicheres Bild, wo der gute Herrscher (meist dem Gewinner gleichzusetzen) eben auch hier und da Makel aufweist. Die Kritik am ‚Gewinnertyp’/ am ’guten Herrscher’, der noch lebte oder dessen unmittelbaren Nachfahren mittlerweile an der Macht waren, stellte für die Autoren aber seit jeher ein heikles Unterfangen dar. Ein Herrscher konnte zwar ein glänzender Feldherr sein, aber als Verwalter seines Landes total versagen. Wie wird damit von Seiten der Chronisten umgegangen? Das gleiche gilt ebenfalls für den ‚Verlierertyp’, der aber auch manchmal richtige Entscheidungen traf oder auch mal eine Schlacht gewann usw. Hier will die Sektion ein möglichst homogenes Bild zeichnen, indem Leitfragen formuliert wurden, die jeder Referent für seinen Herrschaftsraum aufnimmt: Zugrunde gelegt wird das Bild eines/zweier Herrscher (‚Gewinner’/’Verlierer’) eines oder zweier bestimmten Autoren für einen bestimmten Herrschaftsraum im Hochmittelalter. Unterscheidet sich dieses grundlegend von anderen Autoren der Zeit? Wie wird hier Kritik geäußert (versteckt, verklausuliert beispielsweise durch eine direkte Rede oder das Zitieren einer Urkunde – offen, beispielsweise durch die explizite Meinungsäußerung des Autoren)? Welche Version des Herrscherbildes wird in späteren Chroniken übernommen? Welche Konsequenzen (äußerst spekulativ) hatte die Kritikäußerung für den Autoren und wieweit spielte dessen gesellschaftliches Standing bei der Äußerung der Kritik eine Rolle (einem Hochadeligen wie Otto von Freising konnte sich in dieser Hinsicht sicherlich mehr leisten als sein Nachfolger Rahewin)? Schließlich: Wie wird mit der individuellen Kritik eines mittelalterlichen Autoren von der modernen Forschung umgegangen? Wie sehr wird hier die Intention des mittelalterlichen Autoren vom modernen Autoren reflektiert? Würde es – das schon als übergeordneter Diskussionspunkt – Sinn machen, eine Systematisierung/einen Katalog herauszuarbeiten, wie mit einer von der communis opinio abweichenden kritischen Haltung über bestimmte mittelalterliche Herrscher von einzelnen zeitgenössischen Autoren umzugehen ist? Die Frage nach der causa scribendi muss nicht immer mit Zweckgebundenheit beantwortet werden, z.B. recht platt: durch die geäußerte Kritik erhoffte sich der Autor einen Vorteil für sein Kloster. Es könnte doch auch sein, dass sich der Autor dem Wahrheitspostulat expressis verbis verpflichtet fühlte. So schreibt Adalbold von Utrecht, zugleich Biograph von Heinrich II.: „In der Geschichtsschreibung ist zweierlei zu beachten, dass der Autor sich in seinem Bericht an die Wahrheit hält und der Leser aus der Lektüre Nutzen zieht.“ Vielleicht unterstellt daher die moderne Mediävistik allzu oft ein Zweckgebundenheit des Chronisten, die aber bei der Komplexität eines normalen und ‚menschlichen’ (Herrscher-) Charakters, der auch von unterschiedlichen Beobachtern unterschiedlich gedeutet werden kann, nicht immer notwendigerweise gegeben sein muss: Vielleicht versuchte ein gegebener Chronist einen bestimmten Vorteil/Nachteil eines Herrschers doch relativ wirklichkeitsgetreu widerzugeben. Gerade die systematische Untersuchung des Kontrastes verspricht interessante Einblicke zu geben.