Aus Verlierern Gewinner machen (können) . Obrigkeitliche Gnadengewalt im 16. und 17. Jahrhundert in europäisch vergleichender Perspektive

STEFAN BRAKENSIEK (Duisburg-Essen)
Supplikation als kommunikative Herrschaftstechnik in zusammengesetzten Monarchien

EVA ORTLIEB (Wien)
Kaiserliche versus ständische Gnadengewalt?
Reichshofrat und Reichstag als Empfänger von Supplikationen

BIRGIT EMICH (Erlangen-Nürnberg)
Gnadenmaschine Papsttum: Das römische Supplikenwesen zwischen Barmherzigkeit und Bürokratie

LOTHAR SCHILLING (Augsburg)
Le roi justicier – königliche Gnadengewalt im frühneuzeitlichen Frankreich

SABINE ULLMANN (Eichstätt-Ingolstadt)
Kommentar

Abstract:
Die Praxis des Um-Gnade-bittens ist eine der grundlegenden Formen des kommunikativen Austausches zwischen Herrschenden und Beherrschten, die, wie Renate Blickle zu Recht betont hat, „aus metahistorischer Perspektive für ein ubiquitäres Merkmal von Staatlichkeit gehalten“ werden kann. Ihre konkreten Erscheinungsformen unterliegen jedoch tiefgreifendem historischen Wandel. Die mit den gesellschaftlichen und politischen Veränderungsprozessen der Zeit um 1500 unauflöslich verwobene Transformation dieser kommunikativen Praxis schlägt sich im Entstehen eines neuen Begriffs für eine alte Form der Herrschaftskommunikation nieder – desjenigen der Supplik, requête, supplication, petición, petitizione, suppliken usw. Mit ihm werden alle Arten von nicht-bindenden Aufforderungen – Bitten, Wünsche, Klagen, Forderungen, Ratschläge – belegt. In der Zeit um 1800 verändert sich die Praxis des Gnaden-Bittens erneut grundlegend – aus dem Supplikenwesen wird das konstitutionell anerkannte, individuelle Petitionsrechts.
Die Sektion rückt das neuzeitliche Supplikenwesen des 16. und 17. Jahrhunderts in europäisch vergleichender Perspektive ins Zentrum der Betrachtung. Sie thematisiert es zugleich aus der Perspektive derjenigen, denen die Gnadengewalt zugeschrieben wurde – den Supplikationsempfängern. Dergestalt greift sie eine Erkenntnis der neueren Forschung auf, die betont, dass sich im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts Herrschaft (potestas) nur aus der Zusammenschau obrigkeitlicher Rechts- und Gnadengewalt angemessen beschreiben lässt. Indem die Referentinnen und Referenten (auch) danach fragen, unter welchen Voraussetzungen es möglich war (oder nicht), das Gnade-gewähren „gewinnbringend“ in die jeweilige Herrschaftspraxis zu integrieren, erörtern sie, das Leitthema des Historikertages aufgreifend, einen bislang noch nicht systematisch erörterten Aspekt der Thematik.

English Version:
The practice of asking for mercy is a fundamental act of communication between rulers and subjects. Renate Blickle emphasized that “it can be considered a ubiquitous characteristic of statehood from a meta-historic perspective.” However, the concrete realizations of this phenomenon changed through the ages. The transformation process in society and politics around the year 1500 affected this practice of communication as well. This can be seen in the emergence of new terms like Supplik, requête, supplication, petición, petitizione, suppliken etc. These terms comprehend all forms of non-committal requests like wishes, complaints, demands or advices. Around the year 1800, the practice of asking for mercy changed profoundly: the system of supplications turned into the constitutionally acknowledged, individual right of petition.
The panel will focus on the early modern system of supplications in the 16th and 17th century in a European comparative perspective. Furthermore, it will examine in particular the perspective of those to whom the power of mercy was ascribed – the recipients of supplications. Recent research has shown that power (potestas) in 16th and 17th century Europe can only be correctly described if the ruler’s power of jurisdiction and his/her power of granting mercy were to be combined. The panelists will question under which conditions the granting of mercy was beneficiary for the authority. This aspect, which corresponds with the leading topic of the conference, was not examined systematically as of yet.