Sektionen des Wissenschaftlichen Programmes – Epochenübergreifende Sektionen
, 2014
24SepMi
Siege und Niederlagen, Irrtümer und Erkenntnisse. 30 Jahre Geschlechtergeschichte. Eine Bilanz 9:15 - 13:00 Ort: ZHG 105Sektionsleitung: Claudia Opitz-Belakhal
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Teil I: Zur Wissenschaftsgeschichte der Geschlechtergeschichte CLAUDIA OPITZ-BELAKHAL (Basel) Einführung ANGELIKA SCHASER (Hamburg) Zur Etablierung [...]
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Teil I: Zur Wissenschaftsgeschichte der Geschlechtergeschichte
CLAUDIA OPITZ-BELAKHAL (Basel)
Einführung
EVA LABOUVIE (Magdeburg)
Kommentar
Teil II: Roundtable. Siege und Niederlagen, Erträge und (Fehl-)Leistungen der Geschlechtergeschichte
CLAUDIA OPITZ-BELAKHAL (Basel)
Leitung
ELKE HARTMANN (Darmstadt)
Alte Geschichte
ALMUT HÖFERT (Zürich)
Geschichte des Mittelalters, Transkulturelle Geschichte
CLAUDIA ULBRICH (Berlin)
Geschichte der Frühen Neuzeit, Historische Anthropologie
MARTIN LÜCKE (Berlin)
Geschichtsdidaktik, Geschichte der Sexualität(en)
Abstract:
Die Geschlechtergeschichte blickt mittlerweile auf eine mehr als fünf Jahrzehnte überspannende Entwicklung zurück. Wenn Geschlechtergeschichte inzwischen auch bis in die Schulbücher und in die Einführungen zum Geschichtsstudium Eingang gefunden hat, nimmt sie im Fach dennoch weiterhin eine ambivalente Position ein: Sie war einerseits an wichtigen theoretischen Entwicklungen maßgeblich beteiligt (Alltagsgeschichte, historische Anthropologie, linguistic turn, cultural turn, postcolonial turn), andererseits haftet ihr bis heute der Ruch der politisch gefärbten und daher tendenziösen und „unsoliden“ Wissenschaft an.
Im Panel soll es darum gehen, wichtige Stationen der Entwicklung der Geschlechtergeschichte (von der Frauen- zur Geschlechtergeschichte, von der feministischen zur akademischen Forschung, von der Etablierung zur Kritik der Kategorie Geschlecht, vom Um-Schreiben der Geschichte zur Historiographie der Geschlechtergeschichte usw.) nachzuvollziehen sowie die wichtigsten Erträge der geschlechtergeschichtlichen Forschung zu beleuchten und Felder zu benennen, in denen die geschlechtergeschichtliche Forschung die Geschichtswissenschaft insgesamt beeinflusst und verändert hat.
Dies soll in zwei Etappen realisiert werden: Im ersten Panel sollen wichtige Leistungen der Geschlechtergeschichte innerhalb der Geschichtswissenschaft beleuchtet und deren Rezeption innerhalb der pluralisierten geschichtswissenschaftlichen Ansätze diskutiert werden. In einem zweiten Schritt sollen wichtige Entwicklungen innerhalb der Geschlechtergeschichte themen- bzw. problemspezifisch präsentiert und diskutiert werden. Dies soll in Form einer round table-Diskussion erfolgen. Dabei richtet sich der Blick v.a. auf den bundesdeutschen Raum, ohne aber internationale Entwicklungen dabei außer Acht zu lassen.
English Version:
There can be no doubt: gender has become a very useful category for historical research since the late 1980s, not only in the US but equally in the German speaking countries. Women and gender history has become part and parcel of all kinds of hand- and textbooks, for the academia as well as for schools. On top of that, gender historians helped to change the whole scientific landscape by engaging in the fields of Alltagsgeschichte, historical anthropology and cultural history, discourse and emotions` history etc. But it still has not lost entirely the image of a one sided or an overty political approach to history. The panel aims at following up the gender history trajectories of the past roughly thirty years, discussing thereby old and new challenges for historical concepts, themes and theories. It aims especially at making visible important scientific impulses of /in gender history as well as discussing new perspectives and challenges.
The panel has two parts: The first one is devoted to a re-asessment of the development of gender history especially in the German speaking countries, ranging from the institutionalization of gender history at Universities up to the re-writing of history and the possibilities of a gendered historiography.
The second part will be a panel-discussion with five participants from different historical fields and epochs aiming at a clarification of todays challenges for gender history as well as new perspectives for its “mainstreaming”.
Uhrzeit:
(Mittwoch) 9:15 - 13:00
Sektionsleitung
Claudia Opitz-Belakhal
24SepMi
Neue Arbeitsformen in der Geschichtswissenschaft. Was gewinnt und was verliert die historische Forschung durch Science 2.0?9:15 - 13:00 Ort: ZHG 008Sektionsleitung: Mareike König / Simone Lässig
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SIMONE LÄSSIG (Braunschweig) Einführung MAREIKE KÖNIG (Paris) und SIMONE LÄSSIG (Braunschweig) Moderation Teil 1 TORSTEN SCHRADE (Mainz) Potenziale [...]
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SIMONE LÄSSIG (Braunschweig)
Einführung
MAREIKE KÖNIG (Paris) und SIMONE LÄSSIG (Braunschweig)
Moderation Teil 1
TORSTEN SCHRADE (Mainz)
Potenziale und Grenzen virtueller Forschungsumgebungen & Forschungsportale
MAREIKE KÖNIG (Paris)
Soziale Netze: Potenziale und „dunkle Seiten” des Web 2.0
KLAUS GRAF (Aachen)
Filtern und Qualitätssicherung im Web 2.0
Diskussion:
Uhrzeit:
(Mittwoch) 9:15 - 13:00
Sektionsleitung
Mareike König / Simone Lässig
24SepMi
Gewinner und Verlierer in Wirtschaftskrisen der Neuzeit (16. - 19. Jahrhundert)9:15 - 13:00 Ort: ZHG 006Sektionsleitung: Philip Hoffmann-Rehnitz / Justus Nipperdey
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PHILIP HOFFMANN-REHNITZ (Münster) Einführung WOLFGANG BEHRINGER (Saarbrücken) Verreckt auf dem Misthaufen [...]
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PHILIP HOFFMANN-REHNITZ (Münster)
Einführung
ULRICH PFISTER (Münster)
Kommentar
Abstract:
In der Sektion wird am Beispiel von Wirtschaftskrisen danach gefragt, welche Bedeutung der Unterscheidung von Verlierern und Gewinnern in Krisen und für deren Wahrnehmung zukommt. Dies erfolgt in einer historischen Langzeitperspektive, die vom Ende des 16. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts reicht. Die Beiträge thematisieren zwei Ausprägungen bzw. Typen von Wirtschaftskrisen: Hunger- bzw. Subsistenzkrisen zum einen, Handels-, Finanz- und Kreditkrisen zum anderen. Beide Krisentypen zogen im untersuchten Zeitraum ein hohes Maß an Aufmerksamkeit innerhalb der öffentlichen Kommunikation auf sich und waren in ausgeprägter Weise moralisch aufgeladen. Zugleich unterscheiden sie sich deutlich in ihren jeweiligen ökonomischen und sozialen Bedingungen und Auswirkungen und repräsentieren zwei Pole gesellschaftlicher Gefährdung.
Wir gehen davon aus, dass Krisen, zumal Wirtschaftskrisen, die Frage nach Gewinnern und Verlierern in einer besonderen Weise evozieren, die sich von „normalen Zeiten“ markant unterscheidet. Im Mittelpunkt der Sektion steht dabei weniger die Identifikation objektiver Gewinner oder Verlierer von Wirtschaftskrisen, sondern die unterschiedlichen Möglichkeiten und Formen, wie Gewinner und Verlierer innerhalb der Krisenkommunikation konstruiert wurden, und wie sich dies zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert wandelte. Zu fragen ist dann, wer solche Konstruktionen in welcher Weise vornahm und welche Interessen damit verbunden waren, inwieweit sich hier konkurrierende Sichtweisen finden lassen und welche Bedeutung und Funktion solchen Gewinner/Verlierer-Konstruktionen für die Krisenkommunikation und -wahrnehmung zukam. Zudem kann das Verhältnis zwischen der Kommunikation während der Krise und ihrer nachträglichen Wahrnehmung in den Blick genommen werden: inwieweit, so lässt sich fragen, präfigurierten die während der Krisen entwickelten Deutungen gerade auch von Gewinnern und Verlierern die Art und Weise, wie Krisen im Nachhinein (nicht zuletzt auch durch die Geschichtsschreibung) wahrgenommen und bewertet wurden?
English Version:
Winners and Losers in Economic Crises (16th–19th century)
The panel deals with the implications of the differentiation between winners and losers for the perception of economic crises from the 16th to the middle of the 19th century. The papers cover two types of economic crisis: on the one hand, hunger- or subsistence-crises, and on the other hand commercial, financial or credit-crises. Both types of crises generated much public attention during the time under consideration. In addition, both were deeply morally charged. At the same time their economic and social preconditions and consequences differed conspicuously, thus representing two opposing types of social hazard.
In our panel, we assume that economic crises evoke the question of winners and losers in a specific way, which clearly differs from ‘normal times’. Therefore, the panel does not so much focus on objective winners and losers, but on the diverse forms and possibilities of constructing winners and losers in the course of communicating about a crisis. Considering the long period spanning the 16th–19th centuries, the aim is to identify changes in this process of construction. Moreover, we ask who embarked on such constructing efforts, in what way, and what kind of interests were involved in the process. How far can competing views as to the allocation of the roles of winner and loser be ascertained and what function did these constructions assume regarding the general perception of the crisis? Furthermore, it will be worth looking at the relationship of the communication about an ongoing crisis to its subsequent perception: how did the interpretations concerning winners and losers that were developed during a crisis prefigure the way it was subsequently perceived and assessed (not least by historians)?
Uhrzeit:
(Mittwoch) 9:15 - 13:00
Sektionsleitung
Philip Hoffmann-Rehnitz / Justus Nipperdey
24SepMi
Wertsachen. Gewinn und Verlust im „global life of things"9:15 - 13:00 Ort: ZHG 103Sektionsleitung: Sünne Juterczenka / Kim Siebenhüner
Event Details
KIM SIEBENHÜNER (Bern) und SÜNNE JUTERCZENKA (Berlin) Einführung LUCAS BURKART (Basel)
Uhrzeit:
(Mittwoch) 9:15 - 13:00
Sektionsleitung
Sünne Juterczenka / Kim Siebenhüner
24SepMi
Fühlen wir (jetzt auch noch) Geschichte? Emotionsforschung als Erkenntnisgewinn oder Orientierungsverlust11:00 - 13:00 Ort: ZHG 009Sektionsleitung: Ute Frevert
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DOROTHEE WIERLING (Hamburg) Moderation FRANK BÖSCH (Potsdam) Gesprächsteilnehmer UTE FREVERT (Berlin) Gesprächsteilnehmer BENNO GAMMERL (Berlin) Gesprächsteilnehmer VALENTIN GROEBNER (Bern) Gesprächsteilnehmer LYNDAL ROPER (Oxford) Gesprächsteilnehmer
Event Details
DOROTHEE WIERLING (Hamburg)
Moderation
FRANK BÖSCH (Potsdam)
Gesprächsteilnehmer
UTE FREVERT (Berlin)
Gesprächsteilnehmer
BENNO GAMMERL (Berlin)
Gesprächsteilnehmer
VALENTIN GROEBNER (Bern)
Gesprächsteilnehmer
LYNDAL ROPER (Oxford)
Gesprächsteilnehmer
Abstract:
Die Geschichte der Gefühle rückt Phänomene ins Zentrum des Interesses, die lange Zeit als unzugänglich oder irrelevant galten. Sie erforscht etwa Wut und Liebe als Mittel monarchischer Herrschaft, Neid als Katalysator konsumorientierter Wirtschaftsformen oder die Rolle der Angst im Kalten Krieg. Dabei verwendeten und entwickelten Historiker_innen verschiedene Konzepte: Sie untersuchten das emotionale Repertoire verschiedener sozialer Gruppen (emotional communities), verwarfen die strikte Trennung zwischen Emotion und Kognition (cogmotion) und historisierten das Verständnis von Gefühlen als rein innerlichen und subjektiven Empfindungen, indem sie sich entweder mit gesellschaftlichen Standards (emotionology) oder mit Emotionen als habitualisierten Praktiken beschäftigten. Daraus ergibt sich eine Reihe wichtiger Fragen: Wie lassen sich Gefühle auf historiographisch sinnvolle Weise theoretisch definieren und empirisch fassen? Sucht die Emotionengeschichte jenseits von linguistic turn und Poststrukturalismus nach einer eindeutigen, universellen und neuro-wissenschaftlich grundierten Wirklichkeit? Verspricht sie einen Erkenntnisgewinn in der Erforschung körper-, subjekt-, kultur-, wirtschafts- und politikhistorischer Dynamiken? Oder birgt die Beschäftigung mit letztlich belanglosen Mikro-Phänomenen die Gefahr eines Orientierungsverlusts, der die eigentlich wichtigen Fragen nach sozialer Ungleichheit und Macht aus dem Blick geraten lässt? Über diese und andere Fragen diskutieren Frank Bösch, Ute Frevert, Benno Gammerl, Valentin Groebner, Lyndal Roper und Dorothee Wierling, die sich in ihren Arbeiten mit verschiedenen emotionalen Phänomenen in unterschiedlichen Epochen, Regionen und Kontexten beschäftigt haben.
English Version:
The history of emotions focuses on phenomena that have long been considered unapproachable or irrelevant. It explored how anger and love were used as instruments of monarchic rule, how envy functioned as a catalyst on consumer-oriented economies, or what role fear played in the Cold War. In pursuing such research, historians have developed a range of different concepts: They explored the emotional repertoire of different emotional communities. They condemned the strict separation between emotion and cognition (cogmotion). And furthermore, they historicized the understanding of feelings as purely internal and subjective sensations by either emphasizing the role of social standards (emotionology) or by conceiving of feelings as habitualized practices. Several important questions result: How can feelings be theoretically defined and empirically grasped in a historically meaningful and sensible way? Does the history of emotions search for a clear, universal, and neuroscientifically grounded reality beyond the confines of the linguistic turn and poststructuralism? Does historical research on emotions foster valuable and fresh vistas into the history of bodies and subjectivities, as well as into cultural, economic, and political dynamics? Or do such endeavors rather concern themselves with insignificant micro-social phenomena, thus bearing the danger of forfeiting orientation and losing sight of actually relevant phenomena like social inequality and power struggles? These and other questions will be discussed by Frank Bösch, Ute Frevert, Benno Gammerl, Valentin Groebner, Lyndal Roper, and Dorothee Wierling, whose work has centered on a variety of emotional phenomena in different ages, regions, and contexts.
Uhrzeit:
(Mittwoch) 11:00 - 13:00
Sektionsleitung
Ute Frevert
25SepDo
Digitalisierung der Geschichtswissenschaften. Gewinner und Verlierer?9:15 - 13:00 Ort: ZHG 009Sektionsleitung: Rüdiger Hohls / Heiko Weber
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TEIL 1: RÜDIGER HOHLS (Berlin) Moderation Block 1 und Einführung CLAUDIA PRINZ (Berlin) Tektonik der digitalen [...]
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TEIL 1:
RÜDIGER HOHLS (Berlin)
Moderation Block 1 und Einführung
CLAUDIA PRINZ (Berlin)
Tektonik der digitalen historischen Fachkommunikation
OLAF BLASCHKE (Heidelberg)
Publikationskultur – Verlage – Digitalisierung
JÜRGEN DANYEL (Potsdam)
Historische Fachzeitschriften und Nachschlagewerke im Open Access
TEIL 2:
CHARLOTTE SCHUBERT (Leipzig)
Gesprächsteilnehmer
GREGORY CRANE (Leipzig)
Gesprächsteilnehmer
WOLFGANG SPIKERMANN (Graz)
Gesprächsteilnehmer
MANFRED THALLER (Köln)
Gesprächsteilnehmer
Abstract:
Die Digitalisierung der (Geistes-)Wissenschaften wird bisher fast ausschließlich als Erfolgsgeschichte dargestellt. Diese Sektion stellt die Digitalisierung der Geschichtswissenschaften ins Zentrum und will in Anknüpfung an das Motto des Historikertages sowohl nach Kosten und Nutzen fragen, als auch nach Gewinnern und Verlierern des rasanten Veränderungsprozesses Ausschau halten. Deshalb soll in der Sektion nicht nur einseitig über Entwicklungspotenziale und Chancen der Digitalisierung diskutiert, sondern auch die Kosten, Verluste und nicht intendierten Folgen mit in den Blick genommen werden.
Die methodischen, konzeptionellen und empirischen Forschungsdesigns und Paradigmen der sog. “Digital Humanities” sind in den Geschichtswissenschaften nicht unwidersprochen geblieben, wobei der Begriff der “Digital Humanities” selbst noch fließend ist. Die Sektion wird deshalb auch den Fragen nachgehen, ob es in den Geschichtswissenschaften eine eigene digitale Tradition gibt, die unabhängig von philologischen und linguistischen Ansätzen entstanden ist und wie zentral die sog. Grundwissenschaften für die zukünftige digitale Geschichtswissenschaft bzw. die historischen Digital Humanities sind.
Diese Sektion weist eine hybride Struktur auf und ist bewusst in zwei Blöcke unterteilt. Im ersten Block werden Facetten digitaler Geschichtswissenschaft von ausgewiesenen Experten/innen in Vorträgen behandelt. Dabei geht es um die digitale Bilanz der Aufbereitung, Publikation, Erschließung, Vermittlung, Kommunikation historischer Forschungsergebnisse sowie um die Veränderungen der fachlichen Diskurse. Der zweite Block bedient sich des Formates der Podiumsdiskussion, um Methoden, Paradigmen, Potenziale und Implikationen der Digital Humanities und Digitalen Geschichtswissenschaft unter Einbindung des Publikums kontrastiv zu diskutieren.
Uhrzeit:
(Donnerstag) 9:15 - 13:00
Sektionsleitung
Rüdiger Hohls / Heiko Weber
25SepDo
Die Materialität der Geschichte. Dinge als Signaturen ihrer Epoche9:15 - 13:00 Ort: ZHG 105Sektionsleitung: Marian Füssel
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BEATE WAGNER-HASEL (Hannover) „Der Stoff der Gaben” – revisted. Plädoyer für einen materiellen Kulturbegriff
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REBEKKA HABERMAS (Göttingen)
Die Peitsche im Reichstag. Koloniale Objekte und globale Praktiken
Abstract:
Die Materialität des Historischen sowie die Geschichte der Materialität sind in jüngerer Zeit verstärkt in den Fokus gerückt. Galt ‚materielle Kultur‘ lange Zeit als vergleichsweise randständige Sparte der historischen Wissenschaften, so hat sich dies im Zuge eines material turn inzwischen deutlich geändert. Die Sektion nimmt diese Entwicklungen zum Anlass einer Bestandsaufnahme der historischen Materialitätsforschung im interepochalen Vergleich. So fragen wir an Schlüsselobjekten einer jeweiligen Epoche, wie mit Dingen gehandelt wurde, welche Bedeutungen den Dingen zukamen und welche Wertigkeiten und Konfliktpotentiale den Dingen eingeschrieben waren. Anhand der antiken Kultur der Gabe fragt BEATE WAGNER-HASEL zunächst ausgehend vom Homerischen Epos nach der Vermischung von unterschiedlichen materiellen Praktiken wie Gastgeschenken, Beutegut und Abgaben. An den Geschenken aus Canusiner Wolle während der römischen Kaiserzeit wird ferner eine alternative Deutung unter Einbeziehung des Erzählkontextes und der Berücksichtigung der Materialität der Gegenstände entwickelt. HEDWIG RÖCKELEIN thematisiert sakrale Objekte als Epochensignatur des Mittelalters. Sakralität hebt Dinge aus dem Alltäglichen, dem Allgemeinen heraus, lädt sie mit religiöser Bedeutung auf und macht sie heilig. Der sakrale Status der materiellen Objekte ist weder “von Natur aus” gegeben noch stabil. Vielmehr wird er hergestellt durch Strategien wie Inklusion, Riten oder Berührung mit dem Heiligen. Als eine Signatur der frühen Neuzeit kann eine zunehmende globale Verflechtung in der Kriegführung gelten, die sich auch innerhalb der materiellen Kultur niederschlug. Anhand des Österreichischen Erbfolgekriegs (1740-1748) und des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) diskutieren MARIAN FÜSSEL und SVEN PETERSEN, welche Bedeutungen den Dingen zugeschrieben wurden, welche Bedeutungen sie erzeugten und welchen Erinnerungswert sie für das heutige Bild dieser Kriege besitzen. Anhand von Kolonialskandalen in der deutschen Gesellschaft des langen 19. Jahrhunderts zeigt REBEKKA HABERMAS wie moral entrepreneurs Peitschen öffentlich zu Symbolen kolonialer Gewalt machten. Vor allem die spezifische Materialität dieser Peitschen aus Nilpferdhaut (Tschabok), durch die allein schon Differenz markiert wurde, war mit dafür verantwortlich, dass sich die emotionale Haltung der deutschen Gesellschaft zum Kolonialismus veränderte. Anhand der seit 2012 auf dem Tempelhofer Feld in Berlin laufenden Ausgrabungen des frühen Columbia-KZ und von Zwangsarbeiterlagern großer Rüstungsbetriebe wie Lufthansa und Weser Flugzeugbau GmbH untersucht REINHARD BERNBECK, welche Arten von historischen Erzählungen sich aus den archäologischen Funden ergeben können. Mit dieser aus dem Materiellen herrührenden Anregung, alternative Erzählungen zu konstruieren, wird der historischen Reflexivität Vorschub geleistet.
English Version:
‘Material culture’ has been regarded as peripheral branch of historical science for a long time, but this has changed recently. An ongoing ‘material turn’ in historical writing focuses the ‘materiality of history’ as well as the ‘history of materiality’. The panel takes this conceptual development as a starting point for a survey of historical research on material cultures on a diachronic basis. We ask what the key objects of each age were, how people acted through and with objects, what meaning was attached to or produced by objects and what values were ascribed to them. Starting from the culture of the gift in antiquity, Beate Wagner-Hasel questions the Homeric Epos concerning the interference of different material practices like presents, booty or tributes. With the presents of canusine wool in the times of imperial Rome she develops an alternative interpretation with regard to the context of narrative and the materiality of the objects dealt with. As key objects of the middle ages Hedwig Röckelein focuses on sacred objects. Sacrality separates things from the everyday life, from the ordinary, and fills them with religious meaning, makes them holy or ‘taboo’. The sacred status of objects was neither “naturally given” nor stable. It was rather made by strategies of inclusion, physical contact with the Saint or ritual practices of consecration. As a signature of the early modern period we can take the growing global entanglements through war which were mirrored in material culture of warfare. Analyzing the Austrian War of Succession (1740–1748) and the Seven Years War (1756–1763) Sven Petersen and Marian Füssel will discuss how things were attributed with meaning, what meaning they constituted and what kind of memo-value they contain for our historical images of these wars today. Cultural entanglement is also key to the colonial affairs in the public sphere of the German Kaiserreich of the long 19th century on which Rebekka Habermas focusses. Whips like the ‘sjambok’, a heavy leather whip traditionally made from an adult hippopotamus, were used by moral entrepreneurs as symbols of colonial violence in parliamentary debate. It was the particular materiality of these whips that changed the emotional regimes of German society concerning the colonies. With the paper by Reinhard Bernbeck we enter the archeology of the era of National Socialism. Presenting findings of the 2012 excavations on the Tempelhof Airport areal in Berlin on the ground of the former Columbia-KZ and the camps of forced labor by large arms factories like Lufthansa and Weser Flugzeugbau GmbH the paper asks what new historical narratives can develop from the archeological findings. With this stimulus for constructing alternative narratives deriving from materiality historical reflexivity is intensified.
Uhrzeit:
(Donnerstag) 9:15 - 13:00
Sektionsleitung
Marian Füssel
25SepDo
Tiere als Verlierer der Moderne? Der Wandel der Beziehung zwischen Menschen und Tieren im interdisziplinären Blick9:15 - 13:00 Ort: ZHG 003Sektionsleitung: Michaela Fenske / Winfried Speitkamp
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MICHAELA FENSKE (Göttingen) und WINFRIED SPEITKAMP (Kassel) Einführung ANNE-CHARLOTT TREPP (Kassel) Tiere als „sakrale Dinge” (17. und [...]
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MICHAELA FENSKE (Göttingen) und WINFRIED SPEITKAMP (Kassel)
Einführung
ANNE-CHARLOTT TREPP (Kassel)
Tiere als „sakrale Dinge” (17. und 18. Jahrhundert)
BEATE BINDER (Berlin) und CLEMENS WISCHERMANN (Konstanz)
Kommentar
Abstract:
Die Human-Animal-Studies haben sich in den letzten Jahren auch in den deutschsprachigen Kulturwissenschaften als neue Forschungsrichtung etabliert. Die in dieser Sektion vertretenen Disziplinen (Geschichtswissenschaft und Europäische Ethnologie) haben diese Entwicklung maßgeblich mitgetragen. Die Tiergeschichte beginnt Fuß zu fassen, wie sich etwa am regen Erscheinen von Sondernummern deutschsprachiger kulturwissenschaftlicher Zeitschriften zeigt. In Perspektivverschiebung zu den bisherigen Studien über das Mensch-Tier-Verhältnis geht es dem interdisziplinären Forschungsfeld der Human-Animal-Studies um eine grundsätzliche Neubestimmung des wissenschaftlichen Blicks auf Tiere. Denn „das Tier“ als Kategorie ist nach wie vor ein blinder Fleck in den Geistes- und Kulturwissenschaften, zumal es jenseits seiner phänomenologischen Attraktivität erst in Ansätzen theoretisiert worden ist: Was ist etwa genau gemeint, wenn wir von einem Tier sprechen? Das fleischliche, lebendige Wesen? Und kann man erweitert dazu auch seine fossilen Überreste oder das aus seinem Körper hergestellte Präparat – sei es als Medizin, als museales Objekt oder als Trophäe über dem Kamin – als Tier verstehen? Eine theoretische Verortung der Kategorie Tier findet in der Regel unter Rückgriff auf postmoderne Theorienangebote wie Donna Haraways Konzept einer „co-constitutive relationship“, Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie, Jacques Derridas Nachdenken über die anthropozentrische Fassung des Tieres bereits in der menschlichen Sprache oder Giorgio Agambens Verständnis des Mensch-Tier-Verhältnisses als „anthropologischer Maschine“ statt. Hier wird das Tier als ein mit eigener Handlungs- und Wirkungsmacht ausgestattetes Lebewesen betrachtet. Zur Erklärung historischer Subjektivität reichen diese theoretischen Zugänge allerdings noch nicht aus. Die soziologischen Konzepte sind vielmehr mit der Konsultation des Archivs als Speicher und als Ort von Wissensproduktion zu verbinden. Tiere haben ihre Spuren in einer Vielzahl von Quellengattungen hinterlassen; dies zeigen auch die Beiträge der beantragten Sektion. Zwar handelt es sich um von Menschen dokumentierte Spuren, doch wäre es ein Fehlschluss, die Fährten, die sie als Gefährten der Menschen gezogen haben, aus methodologischen oder konzeptionellen Gründen zu vernachlässigen – schließlich sind auch viele Menschen und Menschgruppen nur indirekt in den schriftlichen Quellen präsent. Die Suche nach den Quellen einer Tiergeschichte führt also zum Menschen und dennoch nicht vom Tier weg.
Somit wird klar, dass die von den Human-Animal-Studies geforderte Perspektivverschiebung nicht nur Potenziale zur Neuerfassung dessen, was Menschen unter Tieren verstehen, anbietet, sondern auch die Frage aufwirft, was mit eigener Handlungsmacht ausgestattete Tiere mit und aus Menschen machen beziehungsweise gemacht haben. Dies gestattet neue Zugänge zum Verständnis der Möglichkeiten des Mensch-Seins.
Die Sektion möchte sowohl einen Einblick in das sich etablierende Forschungsfeld der Human-Animal-Studies geben als auch exemplarisch auf zentrale Bereiche der Forschung (Haus- und Nutztierhaltung, Zucht, Schlachthof sowie Naturalienkammer) eingehen. Unter der Perspektive des Verlierens und Gewinnens lässt sich in diesen Untersuchungsfeldern fragen, ob der, die tierlichen und menschlichen Lebensverhältnisse tiefgreifend verändernde, Wandel im Zuge der europäischen Moderne aus Sicht tierlicher Akteure als eine Verlustgeschichte betrachtet werden kann. Die Verdrängung vieler Tiere aus den öffentlichen Räumen (und die damit verbundene „Privilegierung“ weniger Arten als Haus- und Schmusetiere), die Formung der Haustiere, die industrielle Gestaltung und Haltung sogenannter Nutztiere, die Verfolgung, Ausbeutung und Ausrottung sogenannter Wildtiere legen den Schluss nahe, Tiere als eigentliche Verlierer der Moderne zu betrachten. Umgekehrt ließe sich möglicherweise auch fragen, was Menschen im Zuge der Modernisierung mit Blick auf ihre tierlichen Mitgeschöpfe verloren haben. Ist beispielsweise der Verlust eines in der Gesellschaft verankerten Wissens um Zusammenhänge und Ausdrucksformen des Lebens und Sterbens eine Folge dieser Entwicklung, und haben sich die Menschen möglicherweise auch um Möglichkeiten kognitiver und intellektueller Entwicklung in tierlich-menschlicher Gefährtenschaft beraubt?
Die Sektion möchte die Potentiale der Human-Animal-Studies mit Blick auf die Frage nach Gewinnern und Verlieren, vor allem aber nach alternativen heuristischen Konzepten zum Verständnis historischer Entwicklungen seit Beginn der Moderne beziehungsweise der Konstruktion von Deutungen des Vergangenen diskutieren. Da die Sektion epochenübergreifend und disziplinenübergreifend (darunter auch Mitglieder des neuen Kasseler LOEWE-Schwerpunktes „Tier-Mensch-Gesellschaft“) angelegt ist, kann eine Vielfalt unterschiedlicher Mensch-Tier Beziehungen in historischer Tiefe erfasst werden. Zudem möchten die Vertreter/innen aus der Europäischen Ethnologie und den Geschichtswissenschaften, die Möglichkeiten und Perspektiven der Human-Animal-Studies auch gemeinsam mit den anwesenden Kolleg/innen diskutieren.
English Version:
In recent years, the discipline of human-animal studies has become established within cultural studies, including in the German-speaking research context, as a new area of research. The disciplines featured in this panel, history and European ethnology, have been key drivers of this development. The frequent publication of special issues of German-language cultural studies journals on the history of animals bears witness to the increasing acceptance of the field as a subdiscipline within academic history. The interdisciplinary field of human-animal studies approaches the relationship between humans and animals from a different perspective than has previous research in the area; it is interested in fundamentally reassessing the way in which academic research looks at animals. The category of “animals” remains effectively in a “blind spot” of the humanities and cultural studies. Attempts to create a theory of this category that goes beyond its evident phenomenological appeal have thus far generally remained embryonic. What do we mean exactly when we speak of an animal; do we mean the concrete, living being of flesh and blood, or can we extend the term to encompass fossils or the products extracted by humans from that living being’s body, whether it be a medicinal substance, a museum exhibit or a hunting trophy? Any theoretical exploration of the category of “animal” generally takes place with reference to postmodernist theories such as Donna Haraway’s idea of a “co-constitutive relationship”, Bruno Latour’s actor-network theory, Jacques Derrida’s thought on the anthropocentric manner in which human language conceives of “the animal”, and Giorgio Agamben’s definition of the relationship between humans and animals as an “anthropological machine”. These theories view animals as living beings possessed of their own agency and ability to influence the world around them. However, these theoretical approaches to the issues do not shed sufficient light on historical subjectivity as it relates to animals; sociological concepts in this arena instead reference archives both as repositories of knowledge and as sites of its production. Animals, as the contributions to this panel demonstrate, have left traces in sources from a large number of genres. While these traces have been documented by people, we would be wrong to neglect them, created as they were by animals as companions of people, for reasons related to methodology or to our own concepts of animals; many people and human groupings, after all, are themselves present only indirectly in written historical sources. In other words, our search for sources for a history of animals leads us to people – but not away from animals themselves.
We can see, then, that the shift in perspective called for by the discipline of human-animal studies not only paves the way to a reconceptualisation of what we understand to be an “animal”, but also raises questions as to what animals, possessed of their own agency, have done with and have made of human beings; this in turn allows us to access new ideas about what being human means and what possibilities our being thus opens up.
The panel intends to provide insights into the emergent research field of human-animal studies as well as presenting exemplary explorations of issues from key areas of research in the discipline, such as the keeping of pets and livestock, the breeding and slaughter of animals and natural history collections. We might ask, viewing these research areas in the context of winning and losing, whether the sweeping change which took place with the advent of European modernity, wreaking profound transformations in the way people and animals lived, might be regarded, from the point of view of animals, as a narrative of losing. The exclusion of a great number of species from the public space, with a few remaining as “privileged” pets subject themselves to a process of domestication; the industrial-scale keeping of animals for human use and their shaping for this use by means of human practices; and the persecution, exploitation and extermination of “wild” animals certainly imply that we might view animals as the real “losers” of the modern age. Conversely, we might ask what human beings have lost in the course of the evolution of modernity in regard to their fellow creatures. For instance, might the loss of an awareness, once rooted in the everyday life of our societies, of expressions of life and death and relationships between the two be a consequence of how our world has developed in the modern age, and have people, in undergoing this development, perhaps robbed themselves of opportunities for cognitive and intellectual development in companionship with animals?
The panel will explore the potential of human-animal studies to illuminate questions around winners and losers of modernity as well as undertaking the principal task of attempting to identify alternative heuristic concepts to enable us to understand historical developments since the outset of the modern age or, to put it another way, to comprehend constructions or interpretations of the past. The panel, seeking as it does to make thorough historical investigations of a diverse range of different relationships between humans and animals, is interdisciplinary in nature and extends across historical epochs, and includes members of the new research group on “Animals – Humans – Society” (Tier-Mensch-Gesellschaft) funded by the LOEWE excellence initiative and based at the University of Kassel. The panel members, representing the disciplines of history and European ethnology, hope to engage in discussion with session attendees on the research potential of human-animal studies and the positions it currently occupies in the research landscape.
Uhrzeit:
(Donnerstag) 9:15 - 13:00
Sektionsleitung
Michaela Fenske / Winfried Speitkamp
25SepDo
Reich ist, wer Geld hat? Ökonomischer Gewinn und Verlust im Blick von Zeitgenossen und Forschung9:15 - 13:00 Ort: ZHG 002Sektionsleitung: Julia Bruch / Ulla Kypta
Event Details
HIRAM KÜMPER (Mannheim) Moderation TANJA SKAMBRAKS (Mannheim) Die Monti di Pietà. Eine Erfolgsgeschichte des vormodernen Kreditwesens?
Event Details
HIRAM KÜMPER (Mannheim)
Moderation
TANJA SKAMBRAKS (Mannheim)
Die Monti di Pietà. Eine Erfolgsgeschichte des vormodernen Kreditwesens?
CHRISTIAN SCHOLL (Münster)
Gewinner und Verlierer im jüdischen Geldhandel des späten Mittelalters
ANGELA HUANG (London)
Die Hanse im 15. Jahrhundert: Ein Netzwerk von Gewinnern?
Abstract:
Unsere Sektion möchte an verschiedenen Beispielen aus der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte zeigen, dass aus wirtschaftshistorischer Perspektive nicht ohne weiteres beurteilt werden kann, wer zu Gewinnern, wer zu Verlierern ökonomischer Prozesse zählt. Ein Blick in die Quellen zeigt häufig, dass die Bewertungen der Forschung zu undifferenziert ausfallen. Anhand verschiedener Fallstudien soll das Geflecht der Selbstwahrnehmung und der retrospektiven Zuschreibung ökonomischer Gewinner und Verlierer gleichermaßen in den Blick genommen werden. Die Analyse verschiedener Akteursgruppen der Bereiche Kreditwesen, Kloster und Handel (die Pfandleihe der Monti di Pietà, jüdischer Geldhandel, das Verhältnis italienischer Kaufleute zum französischen König, Frauenklöster der Zisterzienser, Hierarchien und Netzwerke niederdeutscher Kaufleute, die Hanse im 15. Jh. und transalpin operierende Handelsgesellschaften der frühen Neuzeit) verspricht ein facettenreiches Bild von Deutungsmustern und Beurteilungsmaßstäben zeitgenössischer sowie historischer Urteile. Die Referate ermöglichen somit einen multiperspektivischen Blick auf die komplexen Realitäten des Wirtschaftens in der Vormoderne.
English Version:
Who were the winners, who the losers in the medieval and early modern economic landscape? How were certain institutions and groups involved in and profiting from economic processes judged by their contemporaries? How have they been perceived by historians throughout the centuries? By analysing the role and perceptions of the Italian Monti di Pietà, Jewish moneylenders, Italian bankers dealing with the French crown, female members of the Cistercian Order, networks and hierarchies of merchants from Lower Germany, the Hanse in the 15th century as well as early modern trading companies from Germany and Italy, the session will focus on the complex realities of premodern economy. Thus we hope to provide a multifaceted picture of patterns of interpretation and means of judgement from the past and present.
Uhrzeit:
(Donnerstag) 9:15 - 13:00
Sektionsleitung
Julia Bruch / Ulla Kypta
26SepFr
Individuelle Verlierer – kollektive Gewinner? Das Los als Entscheidungsmedium bei Amtswahlen in Mittelalter und Früher Neuzeit9:15 - 13:00 Ort: ZHG 102Sektionsleitung: Barbara Stollberg-Rilinger / Wolfgang Eric Wagner
Event Details
BARBARA STOLLBERG-RILINGER (Münster) Einleitung: Zur Logik des Losens in vormodernen Allokationsverfahren
Event Details
THOMAS WELLER (Mainz)
Kommentar
Abstract:
Über Gewinn und Verlust entscheidet mitunter der Zufall – so (zumindest auf den ersten Blick) im Falle von Losverfahren. Eine Entscheidung auszulosen heißt, sie dem blinden Zufall oder einem transzendenten Willen anheimzustellen und auf rationales Abwägen der Handlungsoptionen zu verzichten. Das Los entlastet von der Zumutung, die das Entscheiden unter komplexen Bedingungen darstellt, indem es die Entscheidung externalisiert, d.h. auf einer den Akteuren nicht verfügbaren Ebene ansiedelt. Doch das Los ist „organisierter Zufall“ (Barbara Goodwin). Es befreit von der Last komplexer Umstände und der rationalen Abwägung von Gründen immer nur innerhalb eines bestimmten Rahmens, auf den man sich zuvor geeinigt hat. Bevor gelost werden kann, muss die Frage präzise formuliert werden, auf die das Los antworten soll, und es müssen sich die Beteiligten der Entscheidung im Voraus unterwerfen. Das Los setzt vollkommene Gleichheit der Optionen voraus bzw. führt sie selbst herbei. Durch die Unabhängigkeit der Entscheidung von jedweder Deliberation wird die Kontingenz des Entscheidens dramatisch betont und die Entscheidung selbst als Ereignis inszeniert.
In Mittelalter und Früher Neuzeit war die Losentscheidung Gegenstand gelehrter Kontroversen, die um die Frage kreisten, inwiefern es sich um eine Delegation der Entscheidung an Gott handelte oder um eine pragmatische Vereinbarung der Beteiligten, sich dem Zufall zu unterwerfen. Die Zulässigkeit des Losens war umstritten, obwohl oder vielmehr gerade weil es in der christlichen Tradition als Mittel galt, den göttlichen Willen – womöglich mit teuflischer Hilfe – in Erfahrung zu bringen. Dennoch wurde das Los auf vielfache Weise in Entscheidungsverfahren eingesetzt, nicht zuletzt bei der Besetzung von Ämtern in Kirche und Stadtgemeinde. Obwohl die sortitio hinsichtlich der Kleriker- und Bischofswahlen laut Decretum Gratiani (1140) als unerlaubte Divination galt, wurden im hohen und späten Mittelalter tatsächlich durchaus immer wieder Patriarchen, Erzbischöfe und Bischöfe durch das Los bestimmt (in der koptischen Kirche übrigens bis heute). In den Amtswahlverfahren vor allem italienischer Stadtkommunen gehörte das Los seit dem Hochmittelalter zum politischen Alltag; Venedig und Florenz sind die bekanntesten Beispiele dafür. In vielen transalpinen Städten wurde es vor allem zwischen der zweiten Hälfte des 17. und dem Ende des 18. Jahrhunderts im Rahmen von Ratswahlreformen eingeführt, um Legitimationskrisen der Ratsoligarchie entgegenzuwirken, so in Hamburg, Bremen, Frankfurt am Main, Münster und Bern.
Die Sektionsteilnehmer wollen die Logik des Losens anhand exemplarischer Fälle in Stadtgemeinde und Kirche untersuchen. Dabei sind vier Fragenkomplexe zu unterscheiden.
Erstens fragt sich, wann, von wem und aus welchen Motiven Ämterallokation überhaupt zum Gegenstand von Losentscheidungen gemacht wurde. Auf welche Konflikt- oder Krisensituationen wurde damit möglicherweise geantwortet?
Zweitens ist nach dem verfahrenstechnischen Ort und dem genauen Modus des Losentscheids zu fragen. Das Los wurde in der Regel in bestehende Verfahren zur Ämterallokation eingebettet. Dabei galt es eine Balance herzustellen zwischen Steuerung und Kontrolle einerseits und dem Einsatz des unkontrollierbaren Zufalls andererseits. Dazu diente die spezifische Rahmung des Losens: die Formulierung der Optionen, zwischen denen gelost und damit Chancengleichheit hergestellt wurde, die Bestimmung des Zeitpunkts im Verfahrensverlauf usw., wodurch die Kontingenz des Losverfahrens insgesamt beherrschbar blieb. Es ist zu untersuchen, wie diese Verfahrensmodi im Detail beschaffen waren, welchen historischen Veränderungen sie unterlagen, welche Ordnungs- und Stabilisierungsleistungen man sich davon versprach und welche tatsächlichen instrumentellen Effekte festzustellen sind.
Drittens ist die symbolisch-expressive Dimension von Losentscheidungen zu berücksichtigen. Die Zufallsentscheidung in Form von Würfelwurf, Ziehen von Kugeln, Bohnen, Stäbchen, Knochen, beschrifteten Zetteln oder dergleichen machte das Entscheiden als solches in seinem Ereignischarakter wahrnehmbar – mehr vermutlich als jede andere Verfahrensform. Zu fragen ist, inwiefern das Losen als blinder Zufall oder als Gottesurteil inszeniert wurde, an welches Publikum es sich richtete (oder vor wem es verborgen wurde), welcher ästhetischen Mittel man sich dabei bediente usw. Vor allem fragt sich, welche symbolischen Funktionen die Inszenierung des Losens erfüllte – etwa im Falle der bizarr vervielfachten Loselemente in städtischen Ratswahlverfahren, die sich instrumentell schwer erklären lassen.
Viertens soll schließlich die Reflexion des Losens durch die Beteiligten und durch externe Beobachter in die Untersuchung einbezogen werden: Welche Rolle spielte das Losverfahren im Rahmen theologischer, juristischer und politischer Diskurse, und inwiefern unterlag seine Beurteilung historischem Wandel? Hatte das Sprechen über das Los eine spezifische eigene Funktion?
Insgesamt versprechen wir uns von der Analyse dieser zentralen Allokationsverfahren geistlicher und weltlicher Amtsträger einen Zugang zu der vormodernen Kultur des Entscheidens ganz allgemein. Inwiefern diente der kontrollierte Einsatz des Losentscheids der Kontingenzbewältigung? Inwiefern hatte er tatsächlich die politisch stabilisierenden Effekte, die ihm von den Zeitgenossen zugeschrieben wurden? Im Hinblick auf das Rahmenthema des Historikertags lässt sich die versuchsweise formulieren, dass das Losen zwar immer individuelle Verlierer produzierte, aufs Ganze gesehen aber das jeweilige Kollektiv zum Gewinner machte.
Uhrzeit:
(Freitag) 9:15 - 13:00
Sektionsleitung
Barbara Stollberg-Rilinger / Wolfgang Eric Wagner
26SepFr
Wikipedia und Geschichtswissenschaft. Eine Zwischenbilanz 9:15 - 11:00 Ort: Theologicum T02Sektionsleitung: Thomas Wozniak / Uwe Rohwedder
Event Details
TEIL 1: MAREN LORENZ (Toronto) Wikipedia. Ein Spiegel der Gesellschaft. Zum schwierigen [...]
Event Details
TEIL 1:
JAN HODEL (Aarau)
Wikipedia. Geschichtsfragmente auf Abruf
PETER HOERES (Würzburg)
Diskussion und Moderation
TEIL 2:
THOMAS WOZNIAK (Marburg)
Wikipedia in Forschung und Lehre. Eine Übersicht
GEORG VOGELER (Graz)
Diskussion und Moderation
Abstract:
Das populäre Geschichtsbild wird zunehmend durch das Internet geprägt. Dort wiederum belegt die Online-Enzyklopädie Wikipedia Platz sechs aller weltweit aufgerufenen Webseiten. Durch ihre enorme Reichweite hat die Wikipedia innerhalb weniger Jahre einen erheblichen Einfluss auf das Geschichtsbild breiterer gesellschaftlicher Schichten erlangt. Mit der wachsenden Rezeption wird die Auseinandersetzung mit diesem Medium von außen an die Geschichtswissenschaft herangetragen. Diese hat zwar eigene digitale Arbeitstechniken entwickelt, aber bisher noch kaum Umgangsformen mit dem seit über zehn Jahren gewachsenen Phänomen „Wikipedia“. Die Versuche der Geschichtswissenschaft damit umzugehen, schwanken bisher zwischen institutionalisiertem Verbot, vorbehaltlicher sowie oft geheimer Nutzung und interessierter aktiver, bisweilen anonymer Mitarbeit.
Trotz aller Probleme mit der Qualität stellt die Wikipedia-Datenbank mittlerweile eine quantitativ sehr große Sammlung von Einzeldaten dar, die bei entsprechend kritischen Methoden auch für die Geschichtswissenschaft ertragreich sein kann. Dafür ist zunächst zu fragen, was bei der Wikipedia im Vergleich zur geschichtswissenschaftlichen Arbeit anders gehandhabt wird und wo Gemeinsamkeiten liegen. Das Verfassen von enzyklopädischen Artikeln ist eine besondere Textgattung, die wenig mit „Wissen schaffen“ und mehr mit „Wissen kompilieren“ zu tun hat. Allerdings ist die freie kollaborative Autorenschar noch auf der Suche nach einem eindeutigen Konzept bzw. Profil. Das Spektrum reicht vom an antiken Enzyklopädisten orientierten Wissenskompilator, über die an den neuzeitlichen Konversationslexika orientierten Bereitsteller von Konversationsgrundlagen bis zu den Nationalenzyklopädien, die halfen, die Identität von Nationalstaaten zu konstruieren. Dies macht es für die Geschichtswissenschaft nicht einfacher, mit der Online-Enzyklopädie umzugehen.
In jedem Fall ist die Wikipedia als Projekt damit kein Wissensproduzent sondern eher ein Wissenssammler, der aufgrund des hohen öffentlichen Rezeptionsgrades über eine starke konstruierende Funktion in Bezug auf populäre Geschichtsbilder verfügt. Der Geschichtswissenschaft fehlt bis heute ein auch nur grobes Konzept zum Umgang mit dem Phänomen. Große Lexikonverlage wie Brockhaus und Wahrig sind unter dem Druck der neuen Medien zusammengebrochen, weil sie sich einer Auseinandersetzung zu lange verweigert hatten. Diese Gefahr besteht für die hoch spezialisierten Geschichtswissenschaften nicht, auch weil sie mittlerweile einige erfolgversprechende Initiativen ausprobiert haben. Die Sektion soll zunächst die Wikipedia als von außen an die Geschichtswissenschaft herangetragene Herausforderung analysieren. Im zweiten Schritt werden dann die möglichen Schnittstellen für eine Zusammenarbeit in Forschung und Lehre ausgelotet und dabei die bisherigen Erfahrungen der akademischen Arbeit mit der Wikipedia zusammengefasst.
Uhrzeit:
(Freitag) 9:15 - 11:00
Sektionsleitung
Thomas Wozniak / Uwe Rohwedder
26SepFr
Einer wird gewinnen? Kooperation und Konkurrenz in den Wissenschaften11:00 - 13:00 Ort: ZHG 010Sektionsleitung: Kärin Nickelsen / Margit Szöllösi-Janze
Event Details
KÄRIN NICKELSEN (München) und MARGIT SZÖLLÖSI-JANZE (München) Moderation CASPAR HIRSCHI (St.Gallen) KATHARINA LANDFESTER (Mainz) SABINE MAASEN (München) BÉNÉDICTE SAVOY (Berlin) Abstract: Wer „gewinnt“ eigentlich [...]
Event Details
KÄRIN NICKELSEN (München) und MARGIT SZÖLLÖSI-JANZE (München)
Moderation
Abstract:
Wer „gewinnt“ eigentlich in der Wissenschaft? Und gewinnt dann immer „einer“ – und alle anderen „verlieren“? Die Dynamik der modernen Wissenschaften wird verbreitet auf den Antrieb durch Konkurrenz zurückgeführt (während sie andererseits dem Paradox unterliegt, dass die konkurrierende Auseinandersetzung eine Einbindung der Akteure in kooperative Strukturen erfordert). Aber ist dieses Konzept angemessen, wenn man einmal über den Horizont deutscher Exzellenzinitiativen hinausdenkt? Folgt Wissenschaft – verstanden als Institution, soziales System und kulturelle Praxis – den Spielregeln eines Wettbewerbs mit Gewinnern und Verlierern?
Dieses Spannungsfeld von Kooperation und Konkurrenz in der Wissenschaft steht im Zentrum dieser Sektion. Sie möchte in historischer Perspektive prüfen, ob und wie im gesellschaftlichen Feld „Wissenschaft“ Akteure trotz gemeinhin unterstellter Wettbewerbssituation kooperierten und wie sie mit dem inhärenten Konfliktpotential umgingen. Wie viel Kooperation findet sich in den Wissenschaften – und wie viel Konkurrenz? Welcher Handlungsmodus ist unter welchen Umständen dominant, und wann schlägt der eine in den anderen um? Wie reagieren die Wissenschaften auf veränderte Rahmenbedingungen: Diktaturen, (Kalter) Krieg, Agenda-Setting? Ziel der Sektion ist es, diese Prozesse in verschiedenen Kontexten zu identifizieren, in ihrer Dynamik zu beschreiben und die zugrunde liegenden Konventionen zu verstehen. Dabei stellt die Historizität von Konkurrenz als Handlungsmodus eine conditio sine qua non dar, denn Kooperation und Konkurrenz dürfen keinesfalls essentialistisch aufgefasst werden.
Um die gemeinsame Diskussion zu fördern, die auch die Zuhörer/innen der Sektion einbezieht, sind keine hintereinander geschalteten Vorträge vorgesehen, sondern ein Round Table-Gespräch mit vier Expert/innen, die sich aus den unterschiedlichen Perspektiven ihrer Forschungsfelder mit dem Spannungsverhältnis von Kooperation und Konkurrenz in der Wissenschaft befassen.
English Version:
Are there “winners“ and “losers” in the sciences? [„Sciences“ is to be read in the broad sense of the German „Wissenschaften“.] Does a single person win, while all the others lose? Competition between scientists is often portrayed as the single most important dynamic factor defining the modern sciences. But paradoxically, even fierce competition usually hinges on scientists being embedded in collaborative structures that enable them to attain their specific goals. How germane, then, is the concept of competition when understanding the sciences, if we look beyond the familiar pressures of German “excellence initiatives”? Does science—understood as institutions, social systems, and cultural practices—follow the rules of outright competition? Are there really losers, are there true winners?
This session is devoted to the dialectics of collaboration and competition in the natural and social sciences. Looking at the history, how did scientists collaborate despite apparent competition, and how did they cope with potential conflicts with fellow scientists arising from their work? How much collaboration is there in the sciences—and how much competition? Which mode of operation is dominant, and under which circumstances? When does collaboration turn into fierce competition? How did the sciences react to changing boundary conditions: dictatorship, war, political agendas? The goal of this session is to describe such processes in different historical contexts, to analyze their dynamics, and to understand the norms and conventions upon which they are ultimately based. The notions of “collaboration” and “competition” cannot be conceived of as immutable, essentialist categories. Rather, they need to be thoroughly historicized, as their mutability is a sine qua non for understanding the dynamics of their conflicting roles in the sciences.
In order to foster a broad discussion of the topic among the speakers and the audience, the session will not consist of a series of talks, rather it will be structured as a round-table discussion involving four experts, whose work addresses the question of collaboration and competition in the sciences from various different perspectives.
Uhrzeit:
(Freitag) 11:00 - 13:00
Sektionsleitung
Kärin Nickelsen / Margit Szöllösi-Janze
26SepFr
Reichtum. Zur Geschichte einer umstrittenen Sozialfigur 15:15 - 18:00 Ort: ZHG 001Sektionsleitung: Winfried Süß / Jochen Johrendt
Event Details
JOCHEN JOHRENDT (Wuppertal) Reichtum als legitimes Distinktionsmittel? Möglichkeiten und Grenzen im Hochmittelalter
Event Details
ARNE KARSTEN (Wuppertal)
Venedigs Reichtum im Urteil von Zeitgenossen und Nachwelt
WINFRIED SÜSS (Potsdam)
Das „große Zauberwort der Zeit“. Reichtumskonflikte im 19. Jahrhundert
BERTHOLD VOGEL (Hamburg/Göttingen)
Kommentar
Abstract:
In den Debatten der Gegenwart ist das Thema Reichtum nahezu allgegenwärtig. Während Reichtum in der Populärkultur als Leitbild der Lebensorientierung geradezu Züge einer Ersatzreligion annimmt, wird die Reichtumsentwicklung als Element zunehmender sozialer Polarisierungen kontrovers diskutiert. Die Sektion möchte einen eigenen Akzent in der Debatte um Gewinner und Verlierer sozialer Polarisierungen setzen, indem sie Reichtum als sozial konstruierte und kulturell kontextualisierte Kategorie historisiert. Dazu wählt sie einen epochenübergreifenden Ansatz.
Die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema Reichtum steht im deutlichen Gegensatz zur Intensität seiner wissenschaftlichen Bearbeitung. Als Gegenstand sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschungen ist Reichtum kaum erschlossen. Bis heute gilt er als „sozialstrukturelle Grauzone“ (Imbusch). Dies lässt sich in noch stärkerem Maß für historische Untersuchungen konstatieren, in denen Reichtum lediglich als Randthema präsent ist. Armut als Extremform materieller Ungleichheit am unteren Rand des Verteilungsspektrums wird seit jeher als soziales Problem ersten Ranges wahrgenommen und zum Gegenstand historischen Fra-gens gemacht. Entsprechende Studien, die Reichtum ins Zentrum stellen, fehlen hingegen weitgehend.
Es gibt indes gute Gründe, sich mit Reichtum in historischer Perspektive zu befassen:
Die Geschichte des Reichtums verweist auf grundlegende Muster der Sozialordnung, auf gesellschaftliche Basiskompromisse und die ihnen zugrunde liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen. Die Fragen, wie Reichtum wahrgenommen wurde, welche Formen des Reichtums als legitim galten, wo die Grenzen seines aktiven Einsatzes lagen, welche Begrenzungen als angemessen empfunden wurden und wo Kompensationsmechanismen für soziale Ungleichheitsverhältnisse gefunden werden mussten, waren stets umstritten und wurden in verschiedenen Epochen ganz unterschiedlich beantwortet. In einer übergreifenden Perspektive lässt sich daher fragen, inwiefern veränderte Einstellungen zum Reichtum auf grundlegende sozio-ökonomische und kulturelle Wandlungsprozesse verweisen.
Zweitens stellt die Geschichte des Reichtums eine wichtige Leerstelle in der Geschichte sozialer Ungleichheit und sozialer Ordnungssysteme dar. Sozial- und kulturhistorische Studien richten ihren Blick bisher vor allem auf das untere Ende des materiellen Verteilungsspektrums. Es ist allerdings fraglich, ob z.B. eine Geschichte der Armut ohne Analyse des Reichtums als Komplementärphänomen angemessen geschrieben werden kann, denn Vorstellungen über das gesellschaftlich akzeptierte Ausmaß an Armut waren und sind eng (und v. a. im epochenübergreifenden Vergleich keineswegs immer reziprok) mit den Vorstellungen über Form und Höhe des legitimen/illegitimen Reichtums verknüpft. Die Geschichte des Reichtums kann daher auch einen Beitrag zu einer integrierten Geschichte sozialer Ungleichheit leisten.
Folgende Fragen sollen im Mittelpunkt der geplanten Sektion stehen:
1. Wissensordnungen: Wer galt als reich und was waren die Maßstäbe dafür? Welche Projektionen und kulturellen Repräsentationen verbanden sich mit dem Thema Reichtum? Welche wissenschaftlichen und medialen Konstruktionen bestimmten seine öffentliche und politische Wahrnehmung?
2. Reichtum und soziale Ordnungsideen: Welche Erwartungen richteten sich an Reiche? Welche Formen und Größen von Reichtum galten als legitim und respektabel? Inwiefern wirkten kulturelle Deutungsmuster und soziale Institutionen (wie z.B. das Erbrecht) reichtumsfördernd, reichtumsbegrenzend und reichtumslegitimierend? Welche sozialen Regeln bestimmen die Entstehung, Nutzung und Weitergabe großer Vermögen? In welchem Verhältnis stand Gewinnstreben zu anderen Normsystemen, z.B. religiösen Werten?
3. Reichtum als Handlungsvermögen: Reichtum schafft epochenübergreifend Handlungschancen, die weit über die materielle Dimension hinausreichen. Welcher Zusammenhang bestand in unterschiedlichen historischen Konstellationen zwischen Reichtum und politischer Herrschaft? Unter welchen Bedingungen ließ sich Reichtum in politischen Einfluss ummünzen? Welche Beziehungen bestanden zwischen Reichtum und Sozialstatus, und wann ermöglichten große Vermögen den Beitritt zur politischen Machtelite? Umgekehrt wird auch danach zu fragen sein, wo Politik die Bedingungen für die Akkumulation und Weitergabe großer Vermögen prägte.
English Version:
In current debates the theme of wealth is virtually omnipresent. Whereas in popular culture wealth serves as a leading influence in framing conceptions of life’s purpose and personal fulfilment, the distribution of wealth as an element of increasing social polarization is the subject of heated debate and controversy. This panel wants to present its own take on the debate concerning ‘winners’ and ‘losers’ of social polarizations, by historicizing wealth as a socially constructed and culturally contextualized category. In order to do so, it pursues analysis that cuts across individual historical periods.
Public awareness of the topic ‘wealth’ stands in stark contrast to its position within scholarly investigation and debate. Wealth has barely been examined as a research topic within social and cultural history. Until today, it is counted as a “socio-structural grey-zone” (Imbusch). This tendency is even more discernable in contemporary historiography, in which wealth appears merely as a peripheral topic. Poverty as an extreme form of material inequality within the bottom brackets of income distributions has been made a core element of historical examination. Equivalent studies which place wealth at the centre, are, by contrast, largely lacking.
There are accordingly good reasons to analyse wealth in a historical perspective: The history of wealth points out the key patterns of social order, societal compromises, and contemporary conceptions of justice in individual periods. Questions concerning how wealth was perceived, which forms of wealth were considered legitimate, where the borders of its active deployment lay, which limiting measures on its influence were deemed appropriate and where redistributive mechanisms had to be found for conditions of social inequality, were contested and were answered differently in various periods. In a long-term historical perspective one can analyse how far diverging attitudes to wealth highlight fundamental socio-economic and cultural transformations.
Secondly, the history of wealth fills an important gap in the history of social inequality and of social orders. Works of social and cultural history overwhelmingly direct their attention towards the lower end of the distributive spectrum. It is however questionable, whether a history of poverty can be adequately written, without analysis of wealth as a complimentary phenomenon, for conceptions of socially acceptable degrees of poverty are connected to conceptions concerning the form and extent of legitimate and illegitimate wealth. The history of wealth can therefore also make a contribution to an integrated history of social inequality.
The following questions will form the core of the proposed panel:
1. Orders of Knowledge. Who counted as rich and what were its indicators? Which projections and cultural representations were connected to wealth? Which scholarly and cultural constructions determined public and political attitudes to wealth?
2. Wealth and ideas of social order: Which expectations were made of the wealthy? Which forms and amounts of wealth were considered legitimate and respectable? To what extent did cultural understandings and social institutions (inheritance, for example) serve to increase, restrict or legitimate wealth? Which social rules determined the emergence, use and passing on of great fortunes? In which relationship to other value systems did the pursuit of financial gain stand?
3. Wealth as a creator of opportunities: Wealth creates a range of opportunities for actors across historical periods, which extend beyond purely material contexts. Which relationship existed between wealth and political rule in various historic constellations? Under what circumstances did wealth allow itself to be converted into political influence? Which relationships existed between wealth and social status, and when did great fortunes facilitate entrance into the political elite? It will also, by contrast, be necessary to question where politics formed the preconditions for the accumulation of, and passing on, of great wealth.
Uhrzeit:
(Freitag) 15:15 - 18:00
Sektionsleitung
Winfried Süß / Jochen Johrendt
26SepFr
Regionale Ökonomie im Wettbewerb15:15 - 18:00 Ort: ZHG 102Sektionsleitung: Sigrid Hirbodian / Michael Kißener
Event Details
MICHAEL KISSENER (Mainz) und SIGRID HIRBODIAN (Tübingen) Einführung MICHAEL ROTHMANN (Hannover) Die Konkurrenz der Märkte im [...]
Event Details
MICHAEL KISSENER (Mainz) und SIGRID HIRBODIAN (Tübingen)
Einführung
MICHAEL ROTHMANN (Hannover)
Die Konkurrenz der Märkte im hoch- und spätmittelalterlichen Europa
STEFAN GRÜNER (Eichstätt-Ingolstadt/Augsburg)
Kommentar
Abstract:
Handeln in der Ökonomie ist seit jeher auf Gewinnerzielung, modern gesprochen auf Profit oder gar Marktbeherrschung, im Extremfall sogar auf Dominanz in einem spezifischen Sektor aus. Wer sich ökonomisch durchsetzt, sei es mit einer Geschäftsidee, einem Produkt, einem Vertriebsweg, einem günstigen Marktpreis usw., der gehört zu den Gewinnern – Verlierer werden verdrängt oder marginalisiert, sie verschwinden vom Markt, von ihnen ist in den Geschichtsbüchern schließlich nur noch selten die Rede.
Gewinnen und Verlieren in historischer Perspektive zu analysieren – dafür bietet die europäische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart reichlich Anschauungsmaterial. Je konkreter und je diachroner dieses Anschauungsmaterial empirisch untersucht wird, desto klarer vermögen die einschlägigen historischen Quellen Antworten darauf zu geben, wie mit Gewinn und Verlust im Wandel der Jahrhunderte umgegangen wurde, welche sozialen Interaktionen stattfanden, wie Gewinn und Verlust wahrgenommen und welche langfristige Bedeutung dieser Vorgang im Sinne einer ökonomischen Fortentwicklung, die Gewinnen und Verlieren relativiert, hatte.
Die Arbeitsgemeinschaft Landesgeschichte im Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschlands schlägt daher eine Sektion der Vergleichenden Landesgeschichte mit drei Vorträgen und öffentlicher Diskussion vor, die an Beispielen aus dem Mittelalter, der frühen Neuzeit und der Neuesten Geschichte der Frage nachgeht, welche Voraussetzungen, Bedingungen, Mechanismen und Folgen ökonomischer Wettbewerb zwischen Regionen gehabt hat. Durch die diachrone Anlage der Sektion soll die Möglichkeit eröffnet werden zu reflektieren, ob Bedingungsmuster von ökonomischem Erfolg („Gewinn“) in der europäischen Vormoderne und Moderne definierbar, welche Interaktionsformen zwischen regionalen ökonomischen Konkurrenten feststellbar und schließlich auch, wie die unterlegenen Akteure („Verlierer“) wahrgenommen und erinnert worden sind. Dabei wird schließlich auch zu fragen sein, ob die Kategorien „Gewinn“ und „Verlust“ tragfähige Größen bei der langfristigen Betrachtung von solchen historischen Phänomenen sind.
Uhrzeit:
(Freitag) 15:15 - 18:00
Sektionsleitung
Sigrid Hirbodian / Michael Kißener