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Vortragstitel:
Die Frühe Neuzeit als kulturübergreifendes Konzept: die islamische Welt
Tag:
30.09.2010
Epoche:
Epochenübergreifende Sektion
Sektion:
Historische Epochengrenzen und Periodisierungssysteme im globalen Vergleich

Abstract:

Die Frühe Neuzeit als kulturübergreifendes Konzept: die islamische Welt

Referent/in: Stefan Reichmuth, Bochum


Abstract

Mit dem Aufstieg der Globalgeschichtsschreibung seit den 1990er Jahren wurde auch das Konzept der „Frühen Neuzeit“ (engl. Early Modern Period), das sich in den voraufgehenden Jahrzehnten innerhalb der europäischen Historiographie weithin durchgesetzt hatte, auf Regionen außerhalb Europa und Nordamerikas ausgedehnt. Die Motive waren unterschiedlich. Für die einen ging es dabei sicherlich um die weltgeschichtliche Bedeutung der von Europa bestimmten historischen Epochen. Andere suchten den Nachweis autonomer regionaler Wurzeln der Moderne und die Freilegung außereuropäischer kultureller Potentiale der Modernität. Samuel N. Eisenstadt und sein Konzept der „Multiple Modernities“ (1998) ist in hierfür bis heute einflussreich geblieben, ebenso wie die „Verflechtungsgeschichte“ (histoire croisée) von Michael Werner und Bénédicte Zimmermann (2002, 2004). Die Frühe Neuzeit bietet sich hierbei an als eine Epoche wachsender globaler Interaktion und Kommunikation, verbunden mit einer weltweit wachsenden europäischen Präsenz, bei der außereuropäische Imperien und Regionalstaaten aber weiterhin mächtige politische und wirtschaftliche Positionen einnahmen und ihrerseits starken Einfluss auch auf die Europäer ausübten.

Trotz der interkulturellen Utopie, die mit dieser globalen Ausdehnung eines eher rezenten europäischen Epochenkonzeptes unübersehbar verbunden ist, lässt sich doch feststellen, dass sie für die islamischen Staaten und Gesellschaften durchaus sinnvolle Abgrenzungen bietet. Der Zeitraum 1450-1550 stellt mit seinen Reichsgründungen für den gesamten Raum der islamischen Staatenwelt eine unübersehbare Zäsur dar. Ebenso steht am Ende der Frühen Neuzeit auch in der islamischen Welt ein „revolutionäres Zeitalter“ (ca. 1750-1850), das zu vielen revolutionären islamischen Bewegungen und zu vielen Neugründungen von Staaten führte, welche teilweise, aber eben nicht durchweg, mit der europäischen imperialen Expansion zusammenhingen. Die Verflechtungen zwischen Europa und islamischer Welt in dieser Epoche weisen neben dezidierten Abgrenzungen viele direkte wechselseitige Einflüsse ebenso wie analoge Entwicklungen auf.

Verschiedene häufig diskutierte Merkmale der Geschichte der Frühen Neuzeit in Europa, wie etwa die wachsende Bürokratisierung und der „Konfessionalismus“, aber auch islamische Entwicklungen in den Bereichen von Frömmigkeit und Wissen sollen hier auf ihren Wert für ein kulturübergreifendes Konzept „Frühe Neuzeit“ überprüft werden.