Historische Epochengrenzen und Periodisierungssysteme im globalen Vergleich

(30. September 2010 - 9.15 bis 13 Uhr - HS 2.301)


Leitung: Prof. Dr. Christoph Marx, Duisburg/Essen



1. Zur Periodisierung des europäischen Narrativs

Referent/in: Prof. Dr. Justus Cobet, Duisburg/Essen


2. Repräsentation historischen Wandels in indischen Quellen und die moderne Geschichtsschreibung

Referent/in: Prof. Dr. Angelika Malinar, Zuerich


3. Die Frühe Neuzeit als kulturübergreifendes Konzept: die islamische Welt

Referent/in: Prof. Dr. Stefan Reichmuth, Bochum


4. Vergegenwärtigung der Geschichte oder Versorgung der Vergangenheit: Periodisierungsdebatten in China

Referent/in: Prof. Dr. Helwig Schmidt-Glintzer, Göttingen/Wolfenbüttel


Abstract

Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts und der umgangssprachlichen Durchsetzung der „Globalisierung“ als Selbstbeschreibung einer kommunikativ vernetzten Welt der Gegenwart sind etablierte historische Einteilungen und Periodisierungen in Frage gestellt, andere wurden verstärkt und bestätigt.

In dieser Sektion sollen verschiedene außereuropäische historiographische Traditionen mit europäischen Periodisierungssystemen verglichen werden. Ausgangspunkt wird die in der europäischen Geschichte etablierte Unterscheidung in Altertum – Mittelalter – Neuzeit sein sowie deren weitere Modifizierungen und innereuropäische Ausdifferenzierungen. Am Beispiel Chinas, Indiens und der islamischen Welt soll dargelegt werden, ob es ähnliche oder von Europa beeinflusste analoge Unterteilungen in historische Großepochen gibt, welche Traditionen diese haben und wie sie begründet werden. Die regionalspezifischen Kriterien für historische Zäsuren sollen genauer beleuchtet werden, da sie Einblicke geben in Grundlagen des geschichtlichen Selbstverständnisses und die Perspektiven auf die jeweils eigene Geschichte sichtbar machen.

Mit China und Indien wurden zwei Zivilisationen gewählt, die heute zugleich Staaten sind, wobei Indien in der vorkolonialen Zeit eine kulturelle, in sich sehr vielfältige, so doch erkennbare Einheit bildete, auch wenn der Subkontinent politisch eher ausnahmsweise geeint war. Indien wie China verfügten über eigene historiographische Traditionen, die durch den Austausch mit Europa erst spät beeinflusst und modifiziert wurden. Im Fall Chinas geschah dies durch die Rezeption der marxistisch-leninistischen Geschichtsinterpretation in der Volksrepublik, die zu neuen Periodisierungen und Epocheneinteilungen führte. Demgegenüber bildete die islamische Welt allenfalls in ihrer Anfangszeit eine politische Einheit. Sie spaltete sich schon früh in verschiedene Glaubensrichtungen, die ihre eigenen Geschichtsinterpretationen entwickelten. Der islamische Raum ist politisch, religiös und gesellschaftlich-kulturell ausgesprochen heterogen, da nicht nur der Nahe und Mittlere Osten, sondern beträchtliche Teile Afrikas sowie Südostasiens dazuzurechnen sind. Am Beispiel des Islams lässt sich darum besonders gut herausarbeiten, inwieweit nationalstaatliche Geschichtsbilder mit denjenigen der Religionsgemeinschaft (umma) als ganzer kollidierten.

Während der Islam mit seinem Gründungsdatum (Hedschra) über einen historischen Fixpunkt verfügt, nach dessen Bedeutung als Bewertungsmaßstab auch für Zäsuren und historische Periodisierungen in der nachfolgenden Zeit zu fragen ist, ist im Fall Indiens von besonderem Interesse, ob und wie mit dem politischen und latent religiösen Gegensatz zwischen Indien und Pakistan sowie dem Aufstieg des Hindu-Nationalismus eine Neubewertung der britischen Kolonialherrschaft vorgenommen wurde, um die Zeit islamischer Vorherrschaft auf dem Subkontinent als Epoche einer Fremdherrschaft zu fassen. Für diese Beispiele und für China mit seiner traditionellerweise an dynastischen Zyklen orientierten Geschichtsschreibung ist die gemeinsame Leitfrage für die Sektion:

Welche Bedeutung haben historische Zäsuren, gibt es der europäischen Geschichtsauffassung vergleichbare Großepochen? Sind diese durch die Rezeption europäischer Geschichtsbilder modifiziert worden? Lassen sich in jüngerer Zeit neue Einteilungen erkennen und wie sind diese historiographiegeschichtlich zu bewerten? Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass
aufgrund sprachlicher Barrieren die Rezeption historiographischer Traditionen meist in der Richtung von Europa in andere Regionen und erst zögerlich und ansatzweise auch in die Gegenrichtung verlief. Während die indische Historiographie, die zu einem beträchtlichen Teil in englischer Sprache zugänglich ist, in Europa stärker Beachtung fand, sind die verschiedenen islamischen sowie die chinesische Geschichtswissenschaft im Westen wenig rezipiert worden.

Umgekehrt hat die westliche Geschichtswissenschaft durch die in jüngster Zeit vorgenommenen Vergleiche etwa des Römischen Reichs mit China sowie die erneute Zuwendung zur Geschichte des Alten Orients neue Impulse erhalten, weswegen die Einbeziehung eines Vertreters der Alten Geschichte auf Konsequenzen für europäische Epochengrenzen hinweisen kann, die in den üblichen, auf die Neuzeit fixierten Diskussionen über Globalgeschichte leicht übersehen werden.
Während für die europäische Geschichtsschreibung der Beginn der frühen Neuzeit u.a. mit der europäischen Expansion verknüpft ist, ist zu fragen, ob dem Kontakt mit Europa, der Unterwerfung durch Europäer für die Geschichtsschreibungen der außereuropäischen Regionen jemals die Bedeutung einer Epochenschwelle zukam. In diesem Zusammenhang ist der Begriff der Moderne von zentraler Bedeutung und die Frage, nach welchen Kriterien Moderne bestimmt wird, ob sie mit einem Fortschrittsbegriff verbunden ist oder sogar als Bedrohung wahrgenommen wird.

Nicht nur in bezug auf die islamische Welt, sondern auch auf die Nationalstaaten Indien und China soll auch regionalspezifischen Alternativen der Epocheneinteilung nachgegangen werden, die politisch (Taiwan und Pakistan), religiös (Schia) oder regional (Osteuropa) begründet sein können.
Diese wechselseitigen Beeinflussungen sollen in den einzelnen Vorträgen, vor allem aber in der anschließenden Diskussion zur Sprache kommen. Aus diesem Grund sollen die Vorträge selbst als „Impulsreferate“ konzipiert werden, so dass dem Gespräch der Referenten untereinander und mit dem Publikum mehr Zeit als in Sektionen üblich eingeräumt wird.

Vorträge Epoche
Zur Periodisierung des europäischen Narrativs Epochenübergreifende Sektion
Repräsentation historischen Wandels in indischen Quellen und die moderne Geschichtsschreibung Epochenübergreifende Sektion
Die Frühe Neuzeit als kulturübergreifendes Konzept: die islamische Welt Epochenübergreifende Sektion
Periodisierungsdebatten in China Epochenübergreifende Sektion